Früher haben sie Axolotl sogar gegessen, als Tlapique. "Man muss sie nur kurz garen, Kopf und Knochen kann man mitessen", sagt Alma Delia Roldán, die mit rotkarierter Schürze frische Tortillas heranträgt. Sie haben ihn in Maisblätter gewickelt und über dem Feuer gegart, mit grünen Tomaten, Kaktus, Chili und Epazote-Kraut. Ein aufgeklappter Axolotl auf dem Teller – das ist nur schwer vorzustellen. Zu glibberig ist dieses Tierchen, das sein ganzes Leben als Larve mit Knöpfchenaugen und außenliegenden Kiemen verbringt und das ein Star in den Laboren dieser Welt ist, weil es die gottähnliche Fähigkeit hat, verlorene Körperteile nachwachsen zu lassen.

Das Betonhaus Alma Delia Roldáns, in dem sie Touristen zum Mittagessen empfängt, liegt am Rande der Kanalwelt von Xochimilco, einer grünen Enklave im Süden des Molochs von Mexiko-Stadt, die an den Wochenenden zu einem beliebten Ausflugsziel für tausende Städter wird. Hunderte bunt geschmückter Boote drängen sich dann durch die Kanäle, Bordwände krachen aneinander, Mariachis mit pilzförmigen Riesenhüten schmettern herzzerreißende Canciones, dicke Frauen in wendigen Kanus verkaufen fetttriefende Quesadillas, Tequilaflaschen kreisen.

Einst als Inkarnation eines Gottes verehrt, heute vom Aussterben bedroht – der drollige Axolotl.
Foto: Mirco Lomoth

Doch hier hat auch der Axolotl seinen angestammten Lebensraum. Über Jahrhunderte durchschwamm er die Kanäle, die zwischen den Chinampas von Xochimilco verlaufen, den "schwimmenden Gärten", auf denen bereits die Azteken Gemüse und Blumen anbauten. Für sie war der Axolotl die letzte Inkarnation von Xolotl, dem Gott des Todes und des Unglücks. Xolotl, so heißt es in der Überlieferung, sollte sich selbst opfern, damit die fünfte Sonne ihre Reise über den Himmel antreten konnte. Doch der Gott floh ins Wasser. Er verwandelte sich in einen Axolotl.

Bunte Kähne

Es half ihm nichts. Axolotl sind heute in freier Wildbahn nahezu ausgestorben. Das Abwasser der Großstadt und die Pestizide der Bauern setzen ihm zu, ausgesetzte Tilapia fressen seine Brut. Mexikanische Biologen schätzen, dass die Population in den vergangenen 20 Jahren um 99,5 Prozent zurückgegangen ist. Dionisio Eslava ist ein drahtiger kleiner Mann von 60 Jahren. Er ist Präsident der gemeinnützigen Organisation Umbral Axochiatl, die sich für den Axolotl und die Kulturlandschaft einsetzt. Touristen führt er in ein Xochimilco, das abseits des Rummels liegt. "Wir zeigen nicht nur die schönen Seiten, sondern auch die Probleme und wie wir sie lösen wollen."

Hunderte bunt geschmückter Boote drängen sich dann durch die Kanäle, Bordwände krachen aneinander.
Foto: APA/AFP/MARIO VAZQUEZ

Eslavas Kahn gleitet durch schwarzes Wasser, vorbei an Wasserlilien, die als grüne Inseln dahintreiben und zwischen den Fischreiher stehen und geduldig auf Beute warten. Bauern transportieren zartgrüne Lebensbäume und hohe Erdhaufen auf bunten Kähnen. Im 12. oder 13. Jahrhundert legten Bauern vom Volk der Nahua die ersten Chinampas an, um fruchtbares Land aus dem flachen Xochimilco-See zu gewinnen, der sich damals hier erstreckte. Mit Pfählen und Zweigen steckten sie künstliche Inseln ab, füllten das Innere mit Schlamm und Pflanzenresten auf. So entstanden hochproduktive Anbauflächen.

Hustensaft

Oft sei er als Kind mit seinem Vater hinausgefahren, um Axolotl zu fangen, erzählt Eslava. Damals fand man Axolotl in jedem Kanal. Seine Mutter kochte Axolotl-Tlapique und Axolotl-Suppe, bereitete Axolotl-Sirup gegen Husten. "Wir haben sie oft gegessen, viele Leute werden hier 100 Jahre alt, meine Großmutter ist mit 107 Jahren gestorben", sagt Eslava. Heute kämpft er dafür, dass der Axolotl hier irgendwann wieder eine Welt vorfinden wird, in der er überleben kann.

Eslava biegt in einen Seitenkanal ab, der fast vollständig mit einem Wasserlilien-Teppich bedeckt ist. Hinter Schilf und Weiden arbeiten Bauern auf ihren Chinampas, ihre Beete reichen fast bis ans Wasser – Mais, Petersilie und Rosmarin wachsen darauf. Doch die meisten Parzellen sind überwuchert. Rund 90 Prozent würden heute nicht mehr bepflanzt. Von den einst 180 Kilometern Kanälen seien nur noch etwa 100 Kilometer befahrbar. "Viele Chinamperos haben jahrelang Hybridsorten angebaut und Pestizide benutzt und ihre Chinampas irgendwann aufgegeben, weil Böden und Ernten immer schlechter wurden."

Die Partystimmung auf bunten Schinakeln kommt beim Axolotl weniger gut an.
Foto: Mirco Lomoth

Er macht seinen Kahn an dicken Holzpfählen fest. Sie begrenzen eine rund 100 Quadratmeter große Chinampa, die Umbral Axochiatl als Modellgarten restauriert hat. Hier wollen sie zeigen, dass die traditionelle Anbauweise ohne Pestizide besser funktioniert. Saftig-grüner Koriander steht auf den Beeten, die nur mit dem Schlamm der Kanäle gedüngt werden, Rüben, Kohl, Sommermargeriten. "Wir hoffen, dass die Bauern mit der Zeit die Vorteile erkennen und ohne Chemikalien anbauen, damit der Axolotl wieder eine Chance hat", sagt er.

Mithilfe der Bauern will seine Organisation Axolotl auch wieder auswildern, in restaurierten Bewässerungsgräben zwischen den Chinampas, wo keine Tilapia hineinschwimmen können und wo das Wasser von Pflanzen gereinigt wird.

Schwitzen in der Azteken-Sauna

In der biologischen Station von Umbral Axochiatl treiben am Nachmittag zwei schwarze Axolotl in einem Aquarium reglos zwischen Wasserpflanzen. Sie starren aus lidlosen Augen. Eslava wirft zwei Montezuma-Zwergflusskrebse in ihr Becken, doch die Tierchen rühren sich nicht. "Es sind Nachtjäger", sagt er entschuldigend. Über Jahre hat Umbral Axochiatl Axolotl gezüchtet und die Tiere in künstlich angelegten Teichen ausgesetzt, an versteckten Orten, weil sie auf dem Schwarzmarkt teuer gehandelt werden. "Wir sind für eine Auswilderung im großen Stil bereit, sobald genügend Bewässerungsgräben hergerichtet sind."

"Trajinera" heißen die vor allem bei Touristen beliebten traditionellen Boote mit flachem Rumpf, die man überall in den Kanälen findet.
Foto: APA/AFP/YURI CORTEZ

Einige Bauern, die auf den Chinampas leben, beteiligen sich bereits an der Axolotl-Zucht. Touristen können sie besuchen und die Tiere anschauen. Juan Arena und Mario Díaz bieten Touristen sogar an, auf ihrer abgelegenen Chinampa zu übernachten. "Als wir hier angefangen haben, waren alle Kanäle mit Schilf zugewachsen und unsere Chinampas Sumpfland", sagt Arena, ein Mann um die 60, der bereits als Kind auf den Chinampas gearbeitet hat. Jetzt können Besucher durch die freien Kanäle paddeln und abends in einer aztekischen Temazcal-Dampfsauna schwitzen.

Schutzzone

"Unser Ziel ist es, die ganze Zone hier wiederzubeleben und die Bauern zu überzeugen, wieder auf ihren Chinampas zu arbeiten, einige sind bereits zurückgekommen", sagt Arena. Mit dem Geld aus dem Tourismus will er weitere Parzellen kaufen, ein kleines Schutzgebiet für Vögel schaffen und zugefallene Gräben herrichten, um Axolotl auszusetzen.

Am Abend sitzen Juan Arena und Mario Díaz am Feuer. Es gibt dampfende Tamales, in Maisblättern gegarten Maisteig und Atole, einen dickflüssigen Maistrunk mit Zimt. Auch Eslava ist gekommen. Die drei Männer erzählen von der Kraft dieses Ortes, den sie lieben. Wie sich einmal das Wasser gewölbt habe und Kähne von unsichtbarer Hand gestoppt habe. "Ja, solche Sachen geschehen hier", sagt Eslava, bevor er sich verabschiedet und im Rhythmus der Vergangenheit in die Dunkelheit stakt. Juan Arena löscht das Feuer. Weit in der Ferne, über den Lichtern eines namenlosen Bergdorfes, explodieren Feuerwerksraketen. Geräusche der nahen Millionenstadt wehen herbei, ein flüchtiger Hall von Motoren und Polizeisirenen, unwirklich und doch bedrohlich. (Mirco Lomoth, RONDO, 8.7.2016)