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Akupunktur zur Schmerztherapie hält einer wissenschaftlichen Untersuchung stand.

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EbM-Experte Gerald Gartlehner nimmt für derStandard.at regelmäßig aktuelle Studien unter die Lupe.

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Diesem Blog wird manchmal vorgeworfen, nur negativ über Alternativ- und Komplementärmedizin zu schreiben. Dabei gibt es durchaus auch komplementärmedizinische Behandlungsformen, die einer wissenschaftlichen Untersuchung standhalten – wie etwa die Akupunktur zur Schmerztherapie. Die alte chinesische Nadel-Technik ist in Europa die meistangebotene komplementärmedizinische Behandlungsform. Eine vergleichbare Begeisterung, sich unter die Nadel zu legen, gibt es in China nicht: Die meisten Menschen dort ziehen heute die westliche Medizin vor.

Aus Sicht der evidenzbasierten Medizin stellt sich natürlich die Frage nach der Wirksamkeit der Akupunktur. Immerhin fußt das gesamte System der Traditionellen Chinesischen Medizin (TCM), von der Akupunktur nur ein kleiner Teilbereich ist, auf uralten und komplexen Vorstellungen. Diese sind entstanden, lange bevor die objektiven Grundpfeiler der heutigen Wissenschaft bekannt waren. Alt und komplex bedeutet jedoch nicht zwangsweise wirkungslos. Immerhin hat sich die TCM in vielen Jahrtausenden entwickelt, unter ständigem systematischen Beobachten und Ausprobieren. Wir müssen aber auch hier die Spreu vom Weizen trennen, genauso wie wir Aderlass und Quecksilber-Therapie aus der europäischen Medizin verbannt haben, während beispielsweise viele Tees weiterhin therapeutische Berechtigung haben.

Akupunktur wirkt

Akupunktur ist nicht nur besonders beliebt, sondern wird auch intensiv beforscht. Zwei kürzlich aktualisierte systematische Übersichtsarbeiten der Cochrane-Schmerzgruppe haben die Wirksamkeit von Akupunktur zur Vorbeugung von Migräne und Spannungskopfschmerz unter die Lupe genommen.

Systematische Übersichtsarbeiten fassen die Ergebnisse aller bisher veröffentlichten, relevanten Studien zu einem Thema zusammen und bewerten auch, wie gut die Studien jeweils durchgeführt wurden. Das erlaubt weiter reichende Schlüsse als einzelne Studienergebnisse und bildet die Basis der evidenzbasierten Medizin.

Die Ergebnisse sprechen dafür, dass Akupunktur-Behandlungen Migräne-Attacken wahrscheinlich ähnlich gut vorbeugen wie herkömmliche Medikamente. Gleichzeitig zeigen Studien, dass Akupunktur nur wenig besser hilft als vorgetäuschte Akupunktur, bei der die Nadeln entweder an absichtlich falschen Positionen in die Haut eingestochen werden oder diese nur oberflächlich ritzen. Dabei spüren die Behandelten zwar einen Piek, können ihn aber nicht von den korrekt tiefer gestochenen Akupunkturnadeln unterscheiden.

Auch wiederkehrende Spannungskopfschmerzen lassen sich nur geringfügig besser vorbeugen als durch Scheinakupunktur. Es fehlen jedoch Studien, die die Wirkung von Akupunktur bei Spannungskopfschmerzen mit der von Medikamenten vergleichen.

Punktgenauer Effekt fraglich

In der traditionellen chinesischen Medizinlehre werden die Nadeln in vordefinierte Akupunkturpunkte eingestochen. Auf diese Art soll der Fluss der Lebensenergie, die im Körper angeblich entlang sogenannter "Meridiane" strömt, wieder in Ordnung kommen.

Die Wissenschaft kann jedoch keinen Hinweis auf die Existenz solcher Meridiane finden. Möglicherweise ist das Einstechen an sich der "heilende" Reiz, ob es jetzt an klassischen Akupunkturpunkten passiert oder nicht, könnte nebensächlich sein.

Einen Erklärungsansatz dafür bieten die vielen Studien, die seit den 1970er Jahren der Wirkweise von Akupunktur auf die Spur kommen wollen. Mehrfach belegt ist das Wirkprinzip der Ausschüttung von Endorphinen, die durch die Stiche angeregt wird. Diese körpereigenen Morphine haben eine schmerzstillende Wirkung. Weitere mögliche Rückkoppelungsmechanismen sind noch Gegenstand der Forschung.

Stiche mit Akupunkturnadeln könnten auch dann zu einer Endorphin-Ausschüttung führen, wenn man keinen Akupunkturpunkt trifft, oder die Nadelspitze nur oberflächlich die Haut ritzt. Das würde erklären, warum die Nadelbehandlung Migräne ähnlich gut vorbeugen kann wie herkömmliche Medikamente, aber nur minimal wirksamer scheint als eine Scheinakupunktur-Behandlung.

Sein oder Schein

Ein Teil der Wirkung dürfte auch auf den sogenannten Placeboeffekt zurückzugehen. Die Forschung zeigt, dass schon allein die Erwartung einer Besserung dazu beiträgt, sich gesünder zu fühlen, auch wenn man in Wirklichkeit gar keine wirksame Behandlung (Placebo-Behandlung) bekommen hat. Dabei gilt: Je beeindruckender das Behandlungsritual, umso größer der Placeboeffekt. So sind aufwändige Placebo-Behandlungen deutlich effektvoller, als eine Placebo-Pille zu schlucken.

Dennoch zeigen die zusammengefassten Daten, dass der schmerzlindernde Effekt nachweislich über die Wirkung einer Placeboakupunktur hinausgeht – auch wenn der Unterschied zwischen "Sein und Schein" nicht groß ist. Zudem sind die Nebenwirkungen von Akupunktur deutlich geringer als etwa von Medikamenten zur Migräne-Prophylaxe.

Nicht nur Kopfschmerz-Attacken lassen sich durch prophylaktische Akupunkturbehandlungen verringern. Die chinesische Nadeltechnik scheint auch bei vielen anderen Schmerzarten kleine Erfolge zu versprechen, die über den Placeboeffekt hinausgehen. So zeigen Studien etwa bei Arthrose, Kreuz- oder Nackenschmerzen einen kleinen, lindernden Effekt. (Gerald Gartlehner, 8.7.2016)