Der Kopf eines Lithornithiden wie Calcicavis grandei, gefunden in der Green-River-Formation von Wyoming.

Foto: Sterling Nesbitt/Virginia Tech

Der Vogel muss kurz nach seinem Tod von Flussschlamm bedeckt worden sein, sonst wären seine fragilen Knochen nicht so gut erhalten geblieben – von den Federn und weichem Gewebe ganz zu schweigen.

Foto: Rick Edwards/American Museum of Natural History

Blacksburg / Wien – Man findet sie in Südamerika, Afrika, Australien, auf Neuseeland und Neuguinea. Und bis vor ein paar Jahrhunderten lebten sie auch noch auf Madagaskar: Die Laufvögel unserer Tage besiedelten die meisten der großen Landmassen auf der Südhalbkugel – eine erstaunliche Verbreitung für Tiere, die nicht fliegen können.

Das führte im 20. Jahrhundert zur Hypothese, die Ahnen von Straußen, Nandus, Kiwis, Kasuaren und Emus seien Bewohner des südlichen Superkontinents Gondwana gewesen und nach dessen Zerbrechen auf dem Rücken der Fragmente in unterschiedliche Richtungen "geritten". Zu Fuß um die Welt: Ein schönes Bild, das aber nicht so recht zu dem passt, was man mittlerweile über die Evolution der Laufvögel weiß.

Unerwartete Querverbindungen

Zum einen sind die Verwandtschaftsbeziehungen zwischen den einzelnen Arten eine Herausforderung an die Logik. So sollen die nächsten Verwandten der Kiwis laut einer Studie von 2014 nicht die Moas gewesen sein, die zusammen mit ihnen auf Neuseeland lebten, sondern ausgerechnet die drei Meter hohen Elefantenvögel Madagaskars.

Zum anderen stammen die ältesten Fossilien von Vögeln dieser Gruppe gar nicht von der Südhalbkugel, sondern aus Europa. Und nun auch aus Nordamerika: US-Forscher um Sterling Nesbitt von der Virginia Tech stellen im "Bulletin of the American Museum of Natural History" einen bislang unbekannten Verwandten von Strauß und Kiwi vor. Calciavis grandei lebte vor etwa 50 Millionen Jahren im Gebiet des heutigen Wyoming, als es dort noch tropische Wälder gab. Die Fossilien des nur hühnergroßen Tiers blieben hervorragend erhalten, Federn und sogar Reste von weichem Gewebe inklusive.

Calciavis in seiner natürlichen Umgebung, im Hintergrund eine zeitgenössische Ralle.
Illustration: Velizar Simeonovski

Ein wichtiges Detail: Calciavis konnte noch fliegen, wenn auch vermutlich nicht besonders gut. Insgesamt ähnelte der Vogel damit den heutigen Steißhühnern oder Tinamous, die über weite Teile Süd- und Mittelamerikas bis hinauf nach Mexiko verbreitet sind. Diese äußerlich an Hühner erinnernden Vögel, die ebenfalls noch einigermaßen fliegen können, werden mit den großen Laufvögeln mittlerweile zu einer gemeinsamen Gruppe zusammengefasst.

Der Fund ist damit eine weitere Stütze für die heute vorherrschende Theorie, dass sich die gemeinsamen Ahnen aller heutigen Laufvögel in der Ära kurz nach dem Aussterben der großen Dinosaurier im Flug über die Welt verbreiteten. Erst danach ließen sie sich buchstäblich nieder, verzichteten aufs Fliegen und wurden dafür größer. Dies geschah also nicht nur einmal in ihrer Evolutionsgeschichte, wie man früher gedacht hatte, sondern an all den unterschiedlichen Zielorten gänzlich unabhängig voneinander: eine erstaunliche Parallele. (jdo, 7. 7. 2016)