Wien – Bei den Razzien in Bahngesellschaften in Europa spielte die ÖBB offenbar eine zentrale Rolle. Laut STANDARD-Informationen war der Ausgangspunkt für die am 28. Juni bei europäischen Bahnen durchgeführten Hausdurchsuchungen der Verkauf ausrangierten Rollmaterials durch die ÖBB unter anderem an die Tschechische Staatsbahn.

ÖBB-Sprecher Michael Braun betonte am Donnerstag, es gehe "im Gegensatz zu anderslautenden Quellen bei den Ermittlungen nicht um Preisabsprachen bei Tickets für Bahnfahrten". Es gehe vielmehr um die Behauptung, die ÖBB hätten beim Verkauf gebrauchter Reisezugwagons ihre Marktstellung im Schienenpersonenverkehr ausgenutzt und Wettbewerber beim Zugang zu Wagons behindert, sagte Braun und bestätigte damit Recherchen des STANDARD.

Streitpunkt alte Wagons

Konkret geht es um rund 50 Reisezugwagen, die die ÖBB in den vergangenen Jahren sukzessive durch Railjets ersetzt und an Bahngesellschaften in den östlichen Nachbarländern verkauft hat. Dieses im Fachjargon RIC-Wagen genannte Rollmaterial wurde unter anderen nach Tschechien, Ungarn und in die Slowakei abgegeben. Zu den Abnehmern gehörte die Tschechische Staatsbahn CD ebenso (sie hat der ÖBB auch die 2007 gezogene, dann aber doch nicht erwünschte Option auf weitere Railjet-Züge von Siemens abgenommen) wie die tschechische Privatbahn Regiojet, die der ÖBB über die Jahre RIC-Reisezugwagen abkaufte.

Ausschreibung und Preisfestlegung erwecken nun offenbar das Misstrauen der Kartellwächter. Die EU-Kommission bleibt vage, sie teilte am Donnerstag lediglich mit, dass sie Absprachen zwischen Bahnen zur Verhinderung von Wettbewerb vermutet. "Dazu ist festzuhalten, dass Verkäufe von gebrauchten Wagons im Wege eines Bestbieterverfahrens erfolgen", betonte ÖBB-Sprecher Braun. "Wir gehen aktuell davon aus, dass dem ÖBB-Konzern als auch Dritten aufgrund des Bieterverfahrens kein Schaden im Rahmen der Verwertung von gebrauchtem Rollmaterial entstanden ist, und arbeiten eng mit der EU-Kommission zusammen, um den Sachverhalt aufzuklären."

Ob diese ausreicht, um Kronzeugenstatus zu erhalten und so einer Kartellstrafe zu entgehen, bleibt abzuwarten. Mit dem Sachverhalt vertraute ÖBB-Insider sagen, dass die ÖBB genau dies anstrebe, zumal die Staatsbahn bereits ein EU-Beihilfeverfahren am Hals habe, das im November des Vorjahres Razzien auslöste. Aus diesen könnte wertvolles Basismaterial stammen, das die jüngsten Untersuchungen auslöste. Dem Vernehmen nach ist in der Reisezugwagen-Causa auch ein Rechtshilfeersuchen aus Prag in der Pipeline.

Kronzeugenstatus ist Gold wert, denn Kartellverstöße werden mit einem Bußgeld von bis zu zehn Prozent des Konzernumsatzes geahndet. Straffrei geht nur der Kronzeuge aus, sofern er den Kartellwächtern essenzielle Beiträge zur Aufklärung übergibt. (Luise Ungerboeck, 8.7.2016)