OMV-Chef Rainer Seele: "Dieses Madigmachen des Standorts Österreich ist verfehlt."

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Standard: "Der Fußballwahn ist eine Krankheit, aber selten – Gott-sei-Dank. Ich kenne wen, der litt akut an Fußballwahn und Fußballwut ..." Kennen Sie diesen Vers?

Seele: Ich liebe zwar Gedichtkunst, aber Fußballgedichte? Nein. Wo haben Sie denn das her?

Standard: Ringelnatz. Den mögen Sie doch.

Seele: Ja, ich liebe Ringelnatz und andere, etwa Erich Kästner. Die muntern einen auf, hatten Humor. Das braucht man, wenn man sich sonst nur mit Zahlen beschäftigt.

Standard: Mögen Sie Ringelnatz auch weil er Seefahrer war? Sie sind ja auch einer ...

Seele: Ich komme aus Bremerhaven, aber Seefahrer bin ich nicht. Ich bin ein Mann der Küste, segle und liebe das Meer. Mein Vater und mein Bruder fuhren noch zur See, mein Vater war Schiffsbauingenieur. Wenn man da oben an der Küste groß wird, hat man schon viel mit Schiffen, Meer und steifer Brise zu tun.

Standard: Da sind Sie hier im 21. Stock der OMV gut aufgehoben: Harter Sparkurs und Blick auf die Donau.

Seele: Der Blick auf den Fluss: Ist der nicht herrlich? In Österreich fehlt nur das Meer. Aber ich war jüngst in Fuschl, da kann man auch herrliche Fische fangen...

Standard: Sie sind aber Hochseefischer.

Seele: Und noch mehr Spaß macht mir Lachsangeln in Irland. Ist anspruchsvoll, erfordert viel Geduld.

Standard: Für Geduld sind Sie nicht bekannt.

Seele: Beim Angeln hab ich sie. Ansonsten mangelt mir die Geduld fürchterlich.

Standard: Welchen Vorteil hat Ungeduld?

Seele: Wenn man von einer gewissen Ungeduld ist, ist man ein sehr strebsamer Mensch. Und das bin ich.

Standard: Hat Sie schon jemand aus der SPÖ angerufen? Als Sie bei ihr wegen der geplanten Kooperation mit der russischen Gazprom in die Kritik gerieten, meinten Sie, man könne Sie ja anrufen.

Seele: Das war ein salopp formuliertes Gesprächsangebot. Ich habe seither mit vielen Parlamentariern und Politikern gesprochen, um Verständnis für unsere Strategie zu gewinnen. Dass es dazu verschiedene Meinungen gibt, habe ich zu respektieren.

Standard: Die OMV will sich zu 25 Prozent am Gasfeld Urengoi der Gazprom beteiligen, die bekommt dafür Anteile an norwegischen OMV-Beteiligungen. Man warf Ihnen Ausverkaufsabsichten vor.

Seele: Das ist ein Schmarrn, war nie im Interesse der OMV. Wir betrachten die OMV-Aktionärsstruktur als Heiligtum. Die teilstaatliche Struktur stellt ja auch sicher, dass die OMV in schwierigen Zeiten kein Übernahmekandidat wird.

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Die OMV-Zentrale am Wiener Prater. Ihr Chef Seele beteuert, dass man die Aktionärsstruktur (31,5 Prozent gehören über die ÖBIB der Republik Österreich) für heilig hält.
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Standard: Eine Gazprom-Beteiligung an der Raffinerie Schwechat stand aber zur Debatte.

Seele: So laufen solche Gespräche: Man nähert sich mit einem breiten Trichter, dann konzentriert man sich auf eine Auslese von Assets. So kamen wir auf die Nordsee-Projekte, die die Gazprom interessieren.

Standard: Sie machen sich mit Ihrer Strategie in Zeiten der EU-Sanktionen gegen Russland wenig Freunde. Sie verhelfen Präsident Putin zu einem Achtungserfolg, heißt es. Dem setzen Sie ökonomischen Pragmatismus entgegen: In Russland komme man halt billig an Rohstoffe. Kann man das so einfach sehen?

Seele: Das ist zu kurz gegriffen, es ist mehr als wirtschaftlicher Pragmatismus. Die OMV kooperiert seit 48 Jahren problemlos mit Russland, wir kennen diesen Partner sehr gut. Daher hat mich die Kritik doch überrascht. Und das wird ja keine politische Kooperation, wiewohl wir auch die politischen Risiken einkalkulieren. Indem wir ein Modell aufsetzen, in dem nicht nur die OMV in Russland investiert, sondern auch die Russen in ein Projekt, in dem die OMV der starke Partner ist. So entsteht ein Gleichgewicht: Wir sind aufeinander angewiesen.

Standard: Sie kennen Gazprom mehr als 20 Jahre, aus der Kooperation mit der deutschen Wintershall, deren Chef Sie bis Mitte 2015 waren. Aber ist es nicht etwas anderes, so einen Deal ausgerechnet in Sanktionszeiten einzufädeln?

Seele: Die Sanktionen konzentrieren sich auf den Finanzbereich. Ich gehe in die Gegenrichtung; wir aus der Wirtschaft versuchen eine Politik der Annäherung, versuchen, die wirtschaftlichen Beziehungen am Leben zu erhalten oder wie im OMV-Fall sogar zu intensivieren. Die Politik soll erkennen, dass wir einander brauchen, dass Sanktionen kein Zukunftsmodell sind.

Standard: Die Sanktionen halten Sie für politisch richtig?

Seele: Absolut. Europa musste nach der Annexion der Krim ein Zeichen setzen.

Standard: Man nennt Sie "Russenfreund", "wichtigster Mann der Gazprom in der EU". Das nervt Sie. Warum eigentlich?

Seele: Es nervt mich, weil es nicht stimmt. Ich bin der General der OMV und kämpfe hier mit meiner Mannschaft um Erfolg. Gazprom sucht Personen, die einen Annäherungskurs fahren. Ist doch gut, dass ich aus Russland das Signal bekomme, dass man jemanden schätzt, der Brückenbauen will zwischen zwei Ländern. Ich ergreife nicht Partei, ich setze mich für eine Annäherung Europa- Russland ein, bin der Vermittler der Denkweise beider Seiten.

Standard: Ein stolzes Ziel: Rainer Seele, der Brückenbauer.

Seele: Ein kleines Steinchen würde ich gern zu dem Bau beitragen.

Standard: Putin: ein "lupenreiner Demokrat", wie Ihr Freund Gerhard Schröder sagt?

Seele: Nein, ich bin vollkommen anderer Meinung. Putin hat eine andere Vorstellung von Demokratie und in Russland lässt sich eine Demokratie unseres Maßstabs auch nicht so einfach implementieren. Das muss sich entwickeln.

Standard: Was ist Putin?

Seele: Er ist der Zar des Landes.

Am 1. April wurde in St. Petersburg der Vertrag unterschrieben, der die Kooperation OMV-Gazprom einleitet. Finanzminister Hans Jörg Schelling (li.) war dabei, hier im Bild mit Gazprom-Chef Alexei Miller.
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Standard: Sie wollten den Gazprom-Vertrag im Juli unterschreiben, das klappt aber nicht. Steife Brise, erster Flop?

Seele: Wir wollten uns wirtschaftlich im Juli geeinigt haben, aber das verzögert sich, weil Gazprom länger braucht, um unsere Assets zu bewerten. Wir werden länger verhandeln müssen. Unser Ziel ist, die Verträge in der zweiten Hälfte 2016 zu unterschreiben. Wir legen also heuer fest, wie hoch etwa die Gazprom-Anteile an unserem Nordsee-Unternehmen sein werden. Die behördlichen Genehmigungen holen wir danach ein, in Norwegen und in Russland. Denn die OMV war noch nie dort in Sibirien.

Standard: In Urengoi, wo sich die OMV einkauft, hat es bis zu 60 Grad minus. Da frieren sogar der Wodka und der Diesel ein.

Seele: Diesel ja. Da laufen die Fahrzeuge in der Nacht durch, damit sie in der Früh losfahren können. Die Leute dort lieben den Winter trotzdem mehr als den Sommer. Denn im Sommer gibt es Millionen von Mücken: ein Psychokrieg. Sibirien ist ja neun Monate im Jahr eine Eiswüste, in den drei restlichen spielen sich Frühling, Sommer und Herbst ab.

Standard: Würde mich furchtbar stressen.

Seele: Es ist auch eine Herausforderung für die Menschen dort. Sie müssen sich von diesem den Körper strapazierenden Rhythmus immer wieder erholen.

Standard: Urengoi ist Nenzisch, heißt "verschlafen". Dort gibt’s nichts – bis auf ein tolles Volleyballteam. Sie waren auch Volleyballer?

Seele: In der Schulmannschaft, wie alle langen Kerle. Hauptsächlich war ich Hochspringer. Aber noch zu Sibirien: Die Menschen da begeistern mich. So kalt es draußen ist, so warmherzig und gastfreundlich sind sie.

So sieht es in Urengoi aus, im nördlichen Westsibirien. Dort wird seit 1966 Öl und Gas gefördert. Die deutsche Wintershall kooperiert schon lang mit Gazprom, die OMV will folgen.
Foto: Günther Strobl

Standard: Stellen Sie sich vor: Draußen kalt und drinnen kalt: Das wäre ja noch schrecklicher.

Seele: Da würde kein Mensch mehr hinkommen.

Standard: Sie mögen die Kälte aus beruflicher Sicht, wegen der Energienachfrage. Privat auch?

Seele: Nein, privat mag ich es nicht kalt. Ich genieße die Sonne am Boot, wenn es regnet, sehen Sie mich auch nie am Golfplatz.

Standard: Sicher spielen Sie im Fontana Golfclub, gehört dem russophilen Siegfried Wolf.

Seele: Nein. Ich habe hier in Österreich noch nie Golf gespielt.

Standard: Apropos Kälte. Die OMV ist auf Sparkurs und gerade jetzt hat sich der Zentralbetriebsrat aufgelöst. Unpassend?

Seele: Ich bedaure das und hoffe, dass sich die Streitparteien bald wieder verstehen. Wir brauchen einen guten, in sich einigen Betriebsrat.

Standard: OMV-Aufsichtsratschef Peter Löscher soll sehr aktiv sein, auch Gespräche mit Mitarbeitern über Ihre Strategie führen. Verstehen Sie sich gut mit ihm?

Seele: Warum sollen wir uns denn nicht verstehen? Wir arbeiten ganz eng und intensiv zusammen.

Standard: Sie haben Ihre Mitarbeiter zu Weihnachten in die Staatsoper eingeladen. Zu Beginn haben Sie ein Gedicht rezitiert, Opernchef Dominique Meyer wollte Sie gleich engagieren. Sie sind ihm zu teuer?

Seele: Ja. Mir ist es ein Anliegen, den Mitarbeitern Zeichen der Wertschätzung zu geben, erst recht in harten Zeiten. Wir sind sehr international, und Musik ist eine Sprache, die jeder versteht.

Standard: Anna Netrebko hat aber nicht gesungen?

Seele: Hören Sie auf, das Programm hat Meyer zusammengestellt, übertreiben wollte er nicht. Ich habe dort übrigens ein Kästner-Gedicht rezitiert: "Hamlets Geist". Wollen Sie’s hören?

Standard: Sehr gern.

Seele rezitiert.

"Hamlets Geist" von Erich Kästner.
schueller

Standard: Noch mehr als Oper lieben Sie Ballett. Was fasziniert Sie?

Seele: Die außerordentliche Disziplin und Leistung der Tänzer. Tänzer geben wirklich alles. Diese Leichtigkeit im Tanzen, diese Präzision der Performance! Ich besuchte einmal nach einer Don-Quichotte-Aufführung am Mikhailovsky-Theater in St. Petersburg die Tänzer hinter der Bühne und war erstaunt, wie erschöpft sie waren, sie konnten nicht einmal mehr reden. Und auch das Ballett-Publikum: Da kann es passieren, dass wer aufspringt und laut Bravo schreit, weil er so hingerissen ist von dieser künstlerischen Leistung. Unglaublich.

Standard: Ich kann das um einen Vorfall aus einem Wiener Theater ergänzen. Da stand eine alte Dame auf und rief: "Schmiere!"

Seele: Auch sehr schön.

Standard: Und Wienerisch. Apropos: Was sagen Sie als Deutscher zur Wahlwiederholung?

Seele: Es ist keine löbliche Entwicklung. Ich hatte schon gedacht, dass bei Wahlen mit Präzision vorgegangen wird.

Standard: Die Österreicher: ein wenig schlampig?

Seele: Aber nein. Die Österreicher sind sorgfältig. Man kann ja nicht alles über einen Kamm scheren.

Standard: Sie teilen also die Bananenrepublik-These nicht?

Seele: Nein. Oft geht man mit sich selbst zu hart ins Gericht. Dieses Madigmachen des Standorts Österreich ist verfehlt, Österreich ist ein exzellenter Wirtschaftsstandort: Infrastruktur, Lage, Lebensqualität, Innovationskraft, Technologien. Mein Gott, haben Sie schon einmal eine Bananenrepublik gesehen? Die sieht anders aus. Es sollte nicht passieren, dass eine Wahl aufgehoben wird – aber damit hat sichs auch schon.

Standard: Sie wollten eigentlich Krebsforscher werden, haben Chemie studiert, Ihre Diss heißt: "Synthese biologisch aktiver Acetalglykoside zur selektiven Tumortherapie". Wie kann man da ausgerechnet im Erdölgeschäft landen?

Seele: Ich war bei BASF lang in der Forschung. Forscher sind sehr kreative Menschen, bereit, zu neuen Ufern aufzubrechen – und genau das hat mich erfasst. Da bin ich ins Management gegangen, zunächst im Chemie-Bereich, dann in Öl und Gas. Öl und Gas waren der Motor des Fortschritts in der Entwicklung der Menschheit, Schauen Sie sich doch um: Egal, über welches Produkt wir sprechen: Überall ist der Grundstoff Öl oder Gas drin. Find ich toll. "Entwicklung der Menschheit": So heißt übrigens auch ein Gedicht von Erich Kästner (rezitiert).

"Entwicklung der Menschheit" von Erich Kästner.
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Standard: Faszinieren Sie nicht auch die großen Zahlen? Milliardenumsätze und -Deals, tausende Mitarbeiter, hohe Gage?

Seele: Nein, die regen eher zum zwei Mal Nachrechnen an vor Entscheidungen. Der Reiz liegt in der Aufgabe und Zusammenarbeit.

Standard: Naja… Haben Sie nie Angst, falsche Entscheidungen zu treffen?

Seele: Wenn Sie Angst haben, sollten Sie nicht OMV-Chef werden.

Standard: Ich halte Ihrem Kästner-Weltbild einen Nestroy-Satz entgegen, den manche Ringelnatz zuschreiben: "Wenn alle Stricke reißen, dann hänge ich mich auf."

Seele: Schöner Satz, steckt herrlicher Humor dahinter.

Standard: Passt zur letzten Frage. Worum geht’s im Leben?

Seele: Darum, den Sinn des Lebens zu erkennen.

"Ein Nagel saß in einem Stück Holz" von Joachim Ringelnatz.
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(Renate Graber, 9.7.2016)