Italienische Politikerinnen: Roms neu gewählte Bürgermeisterin Virginia Raggi.

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Ministerin für Verfassungsreformen und Beziehungen zum Parlament Maria Elena Boschi.

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Die ehemalige Kandidatin der Fünf-Sterne-Bewegung bei den Wahlen in Mailand Patrizia Bedori.

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Die ehemalige Jugend- und Sportministerin Giorgia Meloni.

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Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin.

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Laura Boldrini, Präsidentin der Abgeordnetenkammer im Parlament

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Berlusconi machte die Velina Mara Carfagna zur Ministerin.

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Auf der großen Bühne wirkt sie immer noch ein bisschen unsicher, dabei ist es eine regelrechte Sensation, dass Virginia Raggi dort angekommen ist: 37 Jahre ist sie alt, gerade einmal drei Jahre saß sie im Stadtparlament der italienischen Hauptstadt, ehe sie vor wenigen Wochen als Bürgermeisterin in Roms Rathaus einzog. Für die noch junge Fünf-Sterne-Bewegung noch dazu, und das ausgerechnet in der widerspenstigsten, unregierbarsten Stadt des Landes.

Und dann ist das noch nicht einmal das einzig Spektakuläre. Immerhin eroberte erstmals in der mehrere Tausend Jahre alten Geschichte Roms eine Frau den Kapitolshügel. Mit ihrem Sieg am 19. Juni hat sich Virginia Raggi durchgesetzt gegen: den Kandidaten des amtierenden Premierministers Matteo Renzi, jenen des ehemaligen Regierungschefs Silvio Berlusconi, die ehemalige Ministerin Giorgia Meloni und die bekannte Enkelin des ehemaligen Diktators, Alessandra Mussolini.

Und dennoch dürfte der Wahlkampf erst einen Vorgeschmack darauf gegeben haben, was Raggi nun bevorsteht. Selten hat sich derart klar gezeigt, wie derb und offen Meinungsmacher und Politiker in Italien immer noch ihre sexistischen und paternalistischen Ansichten äußern können wie rund um die Kommunalwahlen im Juni.

Rom "in Händen der Puppe"

Rom ist in einem jämmerlichen Zustand, verdreckt und chaotisch, so von Korruption und der Mafia verseucht, dass es inzwischen selbst Palermo mit seiner Cosa Nostra und Neapel mit der Camorra in den Schatten stellt, wie es der Kommunist Fausto Bertinotti formuliert. Doch wie verlottert Italien ist, lässt sich nicht nur an Korruptionsindizes ablesen, an Zahlen über Arbeitslosigkeit und an den vielen Schlaglöchern in den Straßen.

Der Verfall des Landes misst sich auch am Niveau seines intellektuellen Diskurses. Am Tag der Wahl hievte die Tageszeitung "Il Tempo" eine Barbie auf die Titelseite, mit Raggis montiertem Gesicht darauf, mit gespreizten Beinen und rosa Stöckelschuhen, daneben die Headline: "Die Hauptstadt in Händen der Puppe". "Il Giornale" hielt in einem Leitartikel fest, dass Raggi "nicht groß, nicht klein, nicht schön, aber auch nicht hässlich" sei, dass ihre Kleidung diskret sei und sie Stöckelschuhe – "aber nicht zu hohe" – trage.

"Arbeitslose Hausfrau"

Und weil an diesem Sonntag nicht nur in Rom, sondern auch in anderen Städten Italiens gewählt worden war, fielen die Medien auch über Chiara Appendino her, die in Turin – ebenfalls für die Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) – gesiegt hatte.

Die Onlinezeitung "Affari Italiani" titelte: "Keine Absätze, kein Make-up – Raggi und Appendino vorne", und führte an, dass der Look der beiden "wenig sexy" sei. Selbst die seriöse "Repubblica" hielt bereits in der Schlagzeile fest, dass in Turin "die Neo-Mamma" gewonnen habe.

"Der ganz normale Sexismus" in Italien, resümiert die Politikwissenschafterin Tania Marocchi vom Think-Tank "European Policy Centre" angesichts der Berichterstattung über jene Politikerinnen, die den gesamten Wahlkampf hindurch als "Mädel", "verträumt", "Püppchen" oder "Brünette" bezeichnet wurden.

Patrizia Bedori hingegen, die M5S-Kandidatin in Mailand, war so lange als "hässlich", "dick" und "arbeitslose Hausfrau" beschimpft worden, dass sie ihre Kampagne im März vorzeitig beendete. Sie ertrug die Angriffe nicht mehr. Ihr Parteichef Beppe Grillo war zuvor wenig hilfreich zu ihrer Verteidigung angetreten, indem er sie als "gute Mutter, die ein bisschen robuster" sei, bezeichnete.

Virginia Raggi, die in der Regel Sexismus sonst durchaus anprangert, verhält sich, wenn es um Grillo geht, dem ein sektenartiger, autoritärer Führungsstil nachgesagt wird, wie auch all die anderen innerhalb der Fünf-Sterne-Bewegung: Alle halten sie still.

Welle der Frauensolidarität

In Rom musste sich Raggis Gegenkandidatin Meloni, da sie ein Kind erwartet, von dem bürgerlichen Rivalen Guido Bertalaso anhören, sie möge auf die Kandidatur verzichten und sich "dem Muttersein widmen", dem Job könne sie sich dann "ohnehin nicht so richtig hingeben".

Sprüche wie diese haben etwas Erstaunliches unter den in Italien ansonsten heillos zerstrittenen politischen Lagern hervorgebracht: eine parteiübergreifende Welle von Frauensolidarität. So eilte etwa die linke Abgeordnete Teresa di Salvo der rechten Meloni zu Hilfe und prangerte den "altväterlichen Männlichkeitskult an, in dem die Männer den Frauen sagen, wo ihr Platz ist".

Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin hielt fest: "Was derzeit passiert, ist unglaublich. Das ist kein Land für Frauen." Und selbst Premier Renzi schaltete sich ein und hielt fest, dass Meloni den Job "selbstverständlich" hinbekommen würde, auch wenn er natürlich auf seinen Kandidaten setze.

Laura Boldrini, heute Präsidentin der Abgeordnetenkammer, in ihrem früheren Berufsleben aber für die Uno in Krisengebieten unterwegs, sagt seit langem, dass ihr bei ihrer früheren Arbeit niemals derartiger Hass und so geballte Aufforderung zur Gewalt untergekommen sei wie im römischen Parlament.

Als sie im Februar 2014 die Gemeindesteuer auf Immobilien in Angriff nahm, erboste das Grillo derartig, dass er die Leser seines Blogs zu dem Gedankenspiel aufrief, was sie alles mit Boldrini anstellen würden, wären sie alleine mit ihr. Das Ergebnis war eine Flut von Vergewaltigungsaufrufen.

"Formen statt Reformen"

Sexismus beschränkt sich in Italien bei weitem nicht auf die sogenannten Altherren oder das konservative Lager: Der Abgeordnete der Fünf-Sterne-Bewegung Massimo de Rosa, Jahrgang 1979, rief den Kolleginnen der Demokratischen Partei quer durch den Saal zu, sie seien "nur hier, weil ihr gut blasen könnt!".

Sein Parteikollege Nicola Morra, ein Philosophie- und Geschichtsprofessor, warf der Ministerin für Verfassungsreformen Maria Elena Boschi an den Kopf, man werde sich bei ihr "mehr an die Formen als an die Reformen" erinnern.

Renzis Kabinett bestand zu dessen Amtsantritt im Februar 2014 zur Hälfte aus Frauen – erstmals in der Geschichte des Landes. In der Zwischenzeit sind einige – aus diversen Gründen – wieder ausgeschieden, Männer wie Frauen. Doch normal ist die Frau im politischen Amt bis heute nicht. Das zeigt sich schon alleine daran, dass in Italien Politikerinnen immer noch mit der männlichen Form tituliert werden.

Raggi wird noch nicht einmal mit "Frau Bürgermeister" angesprochen – dasselbe gilt für Ministerinnen -, sondern "der Bürgermeister" ("sindaco") genannt. Die weibliche Form ignoriert schlichtweg jeder.

Viel nackte Haut

Das Frauenbild in Italien liegt nur zum Teil in der immer noch stark patriarchalisch-katholisch geprägten Gesellschaft begründet. Das Land stand immerhin schon einmal besser da.

Italiens Fernsehen etwa galt in den 1960ern und 1970ern mit seinem starken Bildungsauftrag als Vorzeigebeispiel. Das Dilemma erklärt sich ein großes Stück weit mit dem intellektuellen Trümmerfeld, das Silvio Berlusconi in den fast zwei Jahrzehnten, die er das Land prägte, hinterlassen hat. Schließlich kontrollierte der Medienunternehmer als Regierungschef neben den großen Privatsendern auch die öffentlich-rechtliche Konkurrenz – und es gibt kaum ein Volk, das so viel fernsieht wie die Italiener.

Wie er seine TV-Shows liebte, so machte er auch Politik: schrill, frauenverachtend, laut, betont anti-politisch. Auch die Werbung entwickelte sich während seiner Ägide so, dass selbst Plakate für Tierfutter und Stahlsilos nicht ohne nackte Haut auskamen.

Und weil es der Ex-Premier bekanntlich nicht nur im Privat-, sondern auch im Berufsleben vorzog, sich mit jungen, schönen Frauen zu umgeben, rekrutierte er diese in Scharen. Auf dem Bildschirm tauchten sie als "Veline" auf, was früher einmal ein dünnes Blatt Papier meinte, das Assistentinnen den Moderatoren während der Sendung reichten.

Unter Berlusconi machten sie noch nicht einmal das. Fortan beschränkte sich ihre Rolle darauf, sich mit wenig Kleidung am Körper als eine Art dekoratives Möbelstück in Stellung zu bringen. Einige von ihnen hievte er anschließend ins Parlament, Mara Carfagna schaffte es sogar bis zur Ministerin für Gleichstellungsfragen.

Berlusconi ist inzwischen politisch bedeutungslos – aber das ist erst drei Jahre her. Italiens Frauenbewegung aber hat sich davon noch nicht erholt. Immer noch gilt es als Normalität, dass junge Mädchen sich laut Umfragen in ihrer Zukunftsvorstellung eher im Fernsehen sehen, wo sie sich am Ende von einem Moderator auf den halbnackten Hintern klopfen lassen, statt Wissenschafterin zu werden – oder Bürgermeisterin. (Anna Giulia Fink, 9.7.2016)