Unterwegs mit der eigenen Rolle, in fremden Ländern.

Foto: Matthias Cremer

Waren es die Schnecken, der Eistee oder doch die Papaya? Gestern Nachmittag ist man über den Markt gegangen und hat das südostasiatische Großstadtflair genossen. Ein Feuerwerk aus Farben und Aromen. Klar, da mischten sich auch ein paar weniger angenehme Gerüche unter die Düfte, aber das konnte den Appetit nicht stören. Zu verlockend war das exotische Imbissangebot. Am Morgen danach treibt es den kulinarischen Abenteurer gleichwohl eiligst zur Toilette. Weitere Details sollten der Leserschaft erspart bleiben. Vorerst zumindest.

Durchfall trübt alljährlich bei zahllosen Touristen die Urlaubsfreuden. Manch einer sieht es gar als kaum vermeidbare Begleiterscheinung von Fernreisen. "Irgendetwas muss man ja essen", meint auch Stefan Winkler von der Medizinischen Universität Wien. Der Facharzt ist Spezialist für Infektionskrankheiten. Diarrhöe hat allerdings viele Erreger. Bakterien wie Escherichia coli oder die gefürchteten Salmonellen gelten als die wichtigsten Verursacher. Dieser Ruf ist nicht ganz berechtigt, denn in sehr vielen Fällen ist ein ganz anderer Plagegeist schuld an der Durchfallqual: Giardia lamblia.

Im Medizinerjargon nennt man die bis zu 20 Mikrometer messenden Einzeller schlicht Lamblien. Sie gehören zu den Protozoen, Klasse Flagellata, und sind bestens an ein Leben als Darmparasiten angepasst. In ihrer aktiven Form als so genannte Trophozoiten verfügen Lamblien über einen speziellen Saugnapf zum Anheften an die Dünndarmschleimhaut. Sie dringen dort praktisch nie ein, erklärt Stefan Winkler. Trotzdem bekommt der direkte Kontakt mit Giardia lamblia den Darmepithelzellen nicht gut: Ihre Flimmerhärchen werden geschädigt, und die Produktion von Verdauungsenzymen gestört. "Die Erreger verursachen eine Entzündung der Schleimhaut", sagt Winkler. Nicht selten löst das Anheften von Lamblien sogar die Apoptose, den vorprogrammierten Zelltod, aus.

In starken Schüben

Wer von Giardia heimgesucht wird, leidet unter Giardiasis. "Es ist sicher eine der häufigsten importierten Darmerkrankungen", betont Winkler. Die ersten Anzeichen können sich bereits nach einem Tag einstellen, meistens jedoch beträgt die Inkubationszeit ein bis zwei Wochen. Typische Symptome sind Blähungen und wässriger, besonders faulig riechender Stuhlgang, der oft in starken Schüben auftritt. "Man muss nach dem Essen sofort auf die Toilette", so Winkler. "Viele Infizierte haben allerdings gar keine Beschwerden." In solchen asymptomatischen Fällen hält das Immunsystem den Erreger in Schach, die Betroffenen können aber einige Zeit lang Ansteckungsquelle sein.

Als Bewohner des sauerstoffarmen Darmmilieus vertragen Lamblien keine hohen O2-Konzentrationen. Die Trophozoiten können an der Luft oder in Gewässern nicht überleben. Zur Verbreitung bilden sie deshalb spezielle Zysten. Derart eingekapselt verlässt Giardia via Enddarm den menschlichen Körper und vermag über Tage oder gar Wochen hinweg in der Umwelt ausharren. Bis zum nächsten Wirtskontakt. Kontaminiertes Wasser und Speisen sind die wichtigsten Infektionsquellen, doch man kann sich auch über die eigenen ungewaschenen Hände Lamblien einfangen. Hygiene hilft. Der Gebrauch von Magensäure-Blockern, erklärt Stefan Winkler, kann das Infektionsrisiko erhöhen. Die Säure dient schließlich als tödliche Barriere gegen Mikroben.

Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation zufolge dürften sich global rund 280 Millionen Menschen jährlich mit Giardia anstecken. Ein weit verbreitetes Problem. In Mexiko etwa tragen gut 55 Prozent der Bevölkerung Giardia-Antikörper im Blut – sie sind mindestens einmal in ihrem Leben mit den Parasiten in Kontakt gekommen. Für die Kleinsten können Lamblien eine ernsthafte, wenn auch oft nicht korrekt diagnostizierte Gefahr sein. Durchfall ist weltweit die zweitwichtigste Todesursache bei Kindern unter fünf Jahren. Betroffen sind vor allem Entwicklungsländer mit ihrer oft schlechten medizinischen Versorgung. In Europa dagegen hat man Giardia weitgehend im Griff. "Autochthone Infektionsfälle sind selten", betont Stefan Winkler.

Wenig zu befürchten

Erwachsene haben von den Einzellern mit der birnenförmigen Gestalt nur wenig zu befürchten. Das Ungemach der Diarrhöe-Schübe klingt meistens von selbst ab, wenn auch manchmal erst nach Wochen. Die Lamblien lassen sich zudem gut mit Antibiotika bekämpfen. Winkler: "Metronidazol ist das gängigste Medikament." Besonders wirksam sei eine Kombination aus dem genannten Präparat und Albendazol, das eigentlich ein Entwurmungsmittel ist. In der Fachliteratur wurde in den vergangenen Jahren zunehmend über resistente Giardia-Stämme berichtet. Im Wiener AKH setzt man auch deshalb auf Kombi-Therapien, sagt Winkler. "Wir haben noch keine wirklichen Probleme gehabt."

Bei manchen Patienten verursachen Lamblien gleichwohl chronische Schwierigkeiten, vor allem, wenn deren Immunsystem geschwächt ist. Die Einzeller stehen im Verdacht, zumindest vorübergehend Laktose-Intoleranz und das so genannte Reizdarm-Syndrom auslösen zu können. Die Störung der Enzymproduktion beeinträchtigt die Verdauung und bringt so wahrscheinlich die Darmflora aus dem Gleichgewicht. "Wenn man solche Beschwerden hat, sollte auf Lamblien untersucht werden", betont Stefan Winkler. Viele Ärzte denken bei Darmerkrankungen nur an Bakterien, meint der Experte. Die einzelligen Parasiten dürfe man jedoch nicht vergessen. (Kurt de Swaaf, 9.7.2016)