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Malcolm Turnbull erklärte sich am Sonntag zum Wahlsieger.

Foto: Reuters/Stringer

Die Enttäuschung stand dem australischen Oppositionsführer Bill Shorten ins Gesicht geschrieben, als er während einer Pressekonferenz am Sonntag in Melbourne die Niederlage seiner sozialdemokratischen Partei eingestand. "Es ist klar, dass Herr Turnbull und seine Koalition die neue Regierung bilden werden", sagte der Oppositionsführer. Wenig später erklärte sich der Angesprochene, Premier Malcolm Turnbull, auch selbst zum Wahlsieger. "Wir haben die Wahl gewonnen", sagte er. Noch am Samstag hatte sich Shorten geweigert, den Sieg der Konservativen anzuerkennen.

Die Zurückhaltung hatte Gründe: Auch am Sonntag – mehr als eine Woche nach den Wahlen – stand das endgültige Ergebnis nicht fest. Die bisherige Regierung konnte sich zwar 74 der 150 Sitze im Unterhaus sichern, Labor 66. Turnbull benötigt aber mindestens 76 Sitze für eine wenigstens hauchdünne Mehrheit. In den letzten Tagen sprach er mit drei Vertretern kleinerer Parteien und sicherte sich deren Unterstützung.

Die Unsicherheit über den definitiven Wahlausgang dürfte noch einige Tage anhalten. Bis Sonntag stand nicht fest, an wen die Stimmen in fünf Wahlkreisen gegangen sind. Nach Angaben der Wahlkommission sind die Ergebnisse derart knapp, dass Wahlzettel mehrfach gezählt werden müssen. Diese Arbeit werde noch bis kommende Woche dauern. Die Auszählung dauert diesmal auch so lange, weil viele Australier auf dem Briefweg gewählt hatten.

"Verkauf der Seele" beim Thema Klimawandel

Welche Konsequenzen das enttäuschende Ergebnis für die Zukunft von Malcolm Turnbull haben wird, ist unklar. Im September letzten Jahres hatte er seinen konservativeren Vorgänger Tony Abbott aus dem Amt geputscht. Obwohl Turnbull als liberal denkender Politiker galt, hielt er an den meisten von Abbott eingeführten politischen Maßnahmen fest – vor allem, was den Kampf gegen den Klimawandel angeht. Kommentatoren zufolge soll der streng konservative, klimawandelskeptische Flügel der Partei Turnbull darauf eingeschworen haben, nichts zu unternehmen, was der mächtigen Kohleindustrie schaden könnte. Dieser vermeintliche "Verkauf seiner Seele" an die Anhänger Abbotts scheint viele progressive Wähler frustriert zu haben. Gleichzeitig war Turnbull vielen konservativen Wählern zu progressiv, was sich in steigenden Stimmenanteilen für rechte Parteien widerspiegelt.

Es dürfte für die Konservativen schwierig werden, sich im Parlament durchzusetzen. Sie sehen sich einer Situation gegenüber, die Turnbull vor dem Urnengang als "Albtraum" bezeichnet hatte – chronische Instabilität. Vor den Wahlen hielt die Koalition 90 der Abgeordnetenplätze im Unterhaus, eine komfortable Mehrheit gegenüber Labor mit 55 Sitzen. Im Oberhaus dagegen blockierten Splitterparteien und Labor wichtige Vorlagen – ein Grund, weshalb Turnbull beide Parlamente auflöste und Neuwahlen ausrief. Entgegen seinen Erwartungen hat sich die Zahl von Senatoren von Splitterparteien nun wohl verdoppelt.

Das größte Kopfzerbrechen wird Regierungsstrategen die virulente Rassistin Pauline Hanson bereiten. Ihre Partei One Nation schaffte es Prognosen zufolge mit mehreren Abgeordneten ins Oberhaus. Schon vor 20 Jahren war sie ins Parlament gewählt worden und hatte damals vor allem asiatische Einwanderer im Visier. Diese seien "eine Gefahr, Australien zu überschwemmen". Im jüngsten Wahlkampf forderte sie einen Einwanderungsstopp für Muslime. (Urs Wälterlin aus Brisbane, 10.7.2016)