Wien – Es kommt nicht oft vor – im Musikverein -, dass ein Künstler die Bühne betritt, ihn Applaus umweht und er – statt zu danken – droht, wieder zu gehen, erst wiederzukommen, wenn jene zwei Personen, die es gewagt hatten, Fotos zu schießen, das Gebäude verlassen haben. Bei Keith Jarrett kommen solche Pointen mitunter vor. Transformation von Überempfindlichkeit in Improvisation, das Zuspitzen einer Konzertsituation zwecks Herbeizwingen von Inspiration unter total störungsfreien Bedingungen – es ist das Konzept des fragilen US-Pianisten.

Er mag zwar etwas überspannt wirken. Es ist allerdings der Preis dafür, dass einer den Augenblick des Spiels zum magischen Moment erklärt, in dem er hoffentlich das Ungespielte spielt und das musikalisch Ungedachte aus sich herausholt. Der Anspruch ist so monströs wie utopisch und dann auch wieder sympathisch. Jarrett macht es sich schwer, wo es sich andere mit Routine leichtmachen. Und er kam wieder auf die Bühne, raste zunächst eine Viertelstunde lang durch abstrakte Linien- und Arpeggiofelder. Wütend, wie er halt immer noch war.

Auch wenn Jarrett später sagen wird, im ersten Teil – wegen der Fotostörung – keinen Bezug zur Musik gehabt zu haben, es war dieser konzentrierter als der zweite. Nach dem eröffnenden virtuosen Exzess wird es elegisch, poetisch, bis ein stilisierter bluesiger Boogie für Aufmunterung sorgt und es in Form einer friedvollen Ballade in die Pause geht. Nach der Pause Höhen und Tiefen: Eine Art abstrakte Fuge wird zum faszinierenden Beispiel, wie Jarrett als Improvisator auch kompositorisch zu denken versteht und pointenreich formale Geschlossenheit schafft. Sein späteres Fantasieren über eine simple Mollkadenz gerät jedoch ein bisschen zur trivialen Filmmusik.

Wie zum Ende hin alles etwas gelöster wirkt, lässt er sich delikat auf einen Blues ein, dann Somewhere Over The Rainbow: Den Song erweckt er sensibel-schlicht. Allein dieser Version wegen hat sich der Stress mit Jarretts Empfindlichkeit in Echtzeit ausgezahlt. (Ljubisa Tosic, 10.7.2016)