Ein in Stein gemeißelter und der EU den Rücken kehrender Winston Churchill als Sinnbild für den Brexit. Dass Großbritannien einen Rückzieher machen könnte, daran glaubt zumindest die deutsche Kanzlerin Angela Merkel nicht.

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London/Brüssel/Wien – Die Euro-Finanzminister diskutieren am Montag in Brüssel über die Folgen des Brexit-Referendums für das gemeinsame Währungsgebiet. Das für 15 Uhr angesetzte Treffen der Eurogruppe ist das erste nach dem Votum in Großbritannien.

Dabei geht es nicht nur um dessen direkte Auswirkungen auf den gemeinsamen Binnenmarkt. Auch indirekte Folgen rückten zuletzt in den Fokus. So verloren in den vergangenen Wochen viele Banken auf den Aktienmärkten in ganz Europa wegen des möglichen Brexit erheblich an Wert. Die geminderten Wachstumsaussichten geben insbesondere Anlass für Zweifel an der Stabilität des italienischen Finanzmarkts.

Italien will bei dem Treffen Medienberichten zufolge die Zustimmung zu einem Bankenrettungsplan einholen. Dazu müsste Italien eine Ausnahmeklausel der neuen EU-Abwicklungsregeln für Banken nutzen.

Merkel rechnet mit Brexit-Antrag

Dass Großbritannien am EU-Austritt festhält, wird indes zumindest von der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nicht angezweifelt. "Ich befasse mich mit den Realitäten, und ich gehe davon aus, ganz fest, dass dieser Antrag gestellt werden wird", sagte sie am Sonntag in der ZDF-Sendung "Berlin direkt". Und weiter: "Das wollen sie erst machen, wenn sie eine neue Premierministerin haben, nach menschlichem Ermessen."

In Großbritannien haben bereits mehr als vier Millionen Menschen eine Petition für ein zweites Brexit-Referendum unterschrieben. Die Regierung hat den Wunsch vieler Briten nach einer weiteren Abstimmung aber klar abgelehnt.

Sparkurs und Freizügigkeit

Merkel wies den Vorwurf zurück, dass ihr EU-Sparkurs zu Frust gegenüber der Europäischen Union und somit auch zum Brexit-Votum geführt habe. "Natürlich brauchen wir auch Solidität in den Haushalten", sagte sie. Das bleibe richtig. Aber in Großbritannien habe nicht diese Politik, sondern die EU-Arbeitnehmerfreizügigkeit eine entscheidende Rolle gespielt. "Da hat man gehadert mit der Freizügigkeit."

Merkel bekräftigte, dass es keine Austrittsverhandlungen geben solle, bevor Großbritannien den Antrag gestellt hat. "Rosinenpickerei" dürfte es nicht geben.

Defizitverfahren Thema

Beim Treffen der Euro-Finanzminister stehen aber nicht nur die Brexit-Folgen auf der Tagesordnung. Auch die routinemäßige Überprüfung der Entwicklungen in Portugal und Irland nach dem Ende der Hilfsprogramme in beiden Ländern ist Thema.

Außerdem sollen die Defizitverfahren gegen Spanien und Portugal angesprochen werden, hieß es. Entscheidungen über nächste Schritte in dieser Sache würden aber erst am Dienstag getroffen. Dann nämlich treffen sich nicht nur die Finanzminister der Euroländer, sondern aller EU-Staaten.

Staaten finanzieren sich günstig wie nie

Die Finanzminister sehen sich jedenfalls nicht nur mit negativen Konsequenzen konfrontiert. Freuen dürfen sie sich darüber, dass die Aussicht auf einen Austritt der Briten die ohnehin niedrigen Finanzierungskosten der Staaten noch einmal reduzierten. Ablesen lässt sich das an den Zehnjahresrenditen für Staatsanleihen in der Eurozone, die am Montag auf ein Rekordtief sanken.

Der österreichische Staat musste auf dem Sekundärmarkt nur mehr 0,089 Prozent berappen – ein historischer Niedrigstand. Deutschland und die Niederlande können überhaupt mit Negativzinsen auftrumpfen. In der Eurozone hinken generell nur Griechenland mit rund acht Prozent und Portugal mit rund drei Prozent hinterher. Alle anderen Länder der Währungsunion, für die tagesaktuelle Werte vorliegen, liegen unter oder geringfügig über der Ein-Prozent-Marke.

Auch Großbritannien selbst profitiert in dieser Hinsicht vom gestiegenen Bedarf an sicheren Anlageformen wie Staatsanleihen. Seine Rendite liegt bei rund 0,7 Prozent, was ebenfalls einen historischen Tiefstand bedeutet. (APA, red, 11.7.2016)