Buchtipp
Ursula Prutsch und Enrique Rodrigues Moura: "Brasilien. Eine Kulturgeschichte". Verlag transcript, Bielefeld. 262 Seiten, 25,50 Euro. ISBN-10: 3-8376-2391-2; EAN: 9783837623918

Cover Verlag transcript

Brasilia/Wien – "Brasilien und kein anderes Land ist jenes schon in der Urzeit geträumte hesperische und das hoffnungsreiche Paradies unserer Erde". So euphorisch berichteten zwei Mitglieder von der österreichischen Brasilien-Expedition, die dort ab 1817 fast zwei Jahrzehnte lang die exotische Flora und Fauna ergründeten und damit die Grundlagen für das Völkerkunde- und das Naturhistorische Museum in Wien schufen.

Damals herrschte in Europa gerade eine veritable "Übersee-Euphorie", derer sich auch Österreich nicht entziehen konnte. "Die österreichische Brasilien-Expedition war ein herausragendes Beispiel für die geopolitischen Interessen einer europäischen Großmacht, die keine Überseekolonien besaß, aber im Konzert der Kolonialmächte mitzuspielen gedachte", schrieb dazu die Historikerin Ursula Prutsch in ihrer 2013 erschienenen "Kulturgeschichte" des größten Landes Lateinamerikas.

Wie andere Expeditionen diente das anfangs von Fürst Metternich großzügig finanzierte Unterfangen nicht nur der reinen Naturwissenschaft. Es steckten auch ökonomische Interessen dahinter. Österreich wollte Brasilien als Handelspartner gewinnen, dazu benötigte man Informationen über Rohstoffe und Agrarprodukte.

Suche nach Rohstoffen und Exportgütern

So machten sich die Forscher auf die Suche nach handelstauglichen Rohstoffen wie Salpeter und Porzellanerde, nach Nahrungsmitteln, Hölzern und medizinischen Pflanzen. Prutsch folgerte: "Gerade nach den napoleonischen Kriegen und der Kontinentalsperre versuchte das Kaiserhaus Österreich den Handel durch neue Märkte zu reaktivieren."

Impakt für die Reise war die Hochzeit des portugiesischen Thronerben und späteren brasilianischen Kaisers Dom Pedro mit Erzherzogin Maria Leopoldine von Österreich, der Tochter von Kaiser Franz I. Der Großteil der Forscher – es schlossen sich auch zwei Bayern an – blieb bis 1821 in Brasilien.

Der 1778 in Laxenburg geborene Johann Natterer, ursprünglich Assistent am kaiserlichen Hofnaturalienkabinett, setzte seine Forschungen aber bis 1835 fort. Vor allem die Sammlung Natterers diente als Basis für die musealen Sammlungen in Wien. Seine Arbeiten dokumentierte er akribisch. Obwohl im Lauf der Jahrzehnte etwa durch Brände oder Kriegsverwüstungen einiges verloren ging, sind über 50.000 Notizen aktenkundig. Natterer erfasst 12.292 Vogelgattungen, 32.825 Insekten, 1.146 Säugetiere, 1.678 Reptilien, 1.671 Fische, 409 Krebstiere, 1.024 Mollusken und etwa 40.000 Pflanzen.

Schlecht behandelte Sklavenhelfer

Dabei ließ er sich von Sklaven helfen, die er als Sammler und Träger einsetzte. Besonders gut behandelte er sie nicht, hielt er sie doch für sorglos und faul. Wegen eines Trinkgelages ließ er die Betroffenen schon einmal 30 Stockhiebe spüren. "Wie viele Zeitgenossen stand Natterer den Rassismen seiner Zeit unreflektiert gegenüber", meint dazu die Lateinamerika-Historikerin Prutsch.

Natterer erkundete Mato Grosso und den Amazonas. Befehle zur Heimkehr ließ er unbeachtet. Als ihn einmal der österreichische Botschafter in Rio de Janeiro suchen ließ, versteckte er sich. "Dem Himmel sey gedankt, ich bin seinen Klauen entwischt", schrieb er dazu in einem Brief. Erst ein Leberleiden zwang Natterer in die Knie. Die Ärzte verordnen ihm schmerzhafte "Aderlässe" und "Haarseile". Das waren Schnüre, die durch Hautfalten gezogen wurden, um Entzündungen auszulöschen.

Nach seiner Rückkehr nach Wien im Jahr 1836 musste Natterer erleben, dass das Interesse an den Überseeforschungen wieder sank. Ein extra eingerichtetes "Brasilianum" war nur für ein paar Jahre eine Attraktion, ehe es wieder geschlossen wurde. Natterer starb 1843 an den Folgen verschiedener Tropenkrankheiten.

Museum von Weltruf mit Platznot

In Naturforscherkreisen blieb er aber bis heute in Erinnerung. So heißt es in einer historischen Selbstbeschreibung des Naturhistorischen Museums: "Natterer baute eine vorbildlich dokumentierte Kollektion naturwissenschaftlicher und völkerkundlicher Objekte für Wien auf. Diese trug wesentlich zum weltweiten Ruf des Museums bei, führte allerdings auch zu einer jahrzehntelangen Platznot."

Bildhafte Zeugnisse der Brasilien-Expedition sind über 700 Zeichnungen, meist Aquarelle, die der Biedermeier-Maler Thomas Ender (1793 – 1875) auf der großen Reise anfertigte. Die – teilweise nach dem Geschmack der Zeit später mit tropischen Tieren und exotischen Menschen angereicherten – Bilder sind in der Akademie der Bildenden Künste archiviert. (APA, 24.7.2016)