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Die EU-Kommission hat mit einer 180-Grad-Wende überrascht. Ceta soll doch als gemischtes Abkommen nationalen Parlamenten vorgelegt werden.

Foto: REUTERS/Kai Pfaffenbach

In Brüssel tagen gerade die TTIP-Verhandler der EU-Kommission und der US-Regierung – und die Europäer haben hohen Erklärungsbedarf. TTIP wird zu Jahresende "stehen" müssen, damit es noch von der Obama-Regierung auf den Weg geschickt werden kann. Um das zu unterstützen, hat die Kommission das fertig ausverhandelte Freihandelsabkommen mit Kanada so auf den Weg durch die Institutionen geschickt, dass es exakt zur heißen Phase der TTIP-Verhandlungen im Europaparlament abgestimmt werden wird. Die Rechnung lautete: Wenn Ceta eine Mehrheit findet, dann bekommen wir auch für TTIP den Segen aller Regierungen. Dieser Plan liegt plötzlich in Trümmern.

Das kam so: Ceta ist fertig verhandelt und gilt als Blaupause für TTIP. Während Ceta in der öffentlichen Debatte lange Zeit im Schatten von TTIP stand, geriet es in den vergangenen Monaten immer stärker in den Fokus des Interesses. Nun ist der Ratifizierungsprozess in vollem Gange. Der Streitpunkt zwischen der Kommission unter Jean-Claude Juncker und dem Rat, also dem Zusammenschluss aller nationalen Regierungen, war bis vergangene Woche, wer in den Ratifizierungsprozess eingebunden sein wird: Sind es nur der Rat und das Europäische Parlament ("EU-only agreement") oder dürfen, im Falle weitreichender Konsequenzen für die Mitgliedsstaaten, auch nationale Parlamente mitreden ("mixed agreement")?

Kommission unter Zugzwang

Die EU-Kommission hat vergangenen Dienstag überraschend eine 180-Grad-Wende hingelegt und sich doch für Ceta als gemischtes Abkommen ausgesprochen, die nationalen Parlamente dürfen also mitentscheiden. Diese Entscheidung hat viel Jubel hervorgerufen.

So weit, so gut, so irreführend. Denn woher kommt dieser plötzliche Sinneswandel?

Die Kommission ist unter Zugzwang. Bis Ceta in allen Mitgliedsstaaten ratifiziert ist, könnte es Jahre dauern, während Kanada vor der Tür steht und auf Ergebnisse drängt. Und so erklärt sich auch dieser Abtausch: Das gemischte Abkommen ist "das Opium" für die Demokraten. Die nationalen Parlamente dürfen zwar jetzt abstimmen, ihr Mitspracherecht ist aber gleichzeitig hinfällig.

Und wenn ein Mitgliedsstaat gegen Ceta stimmt?

Denn während diese Kehrtwende Junckers nun als demokratischer Triumph gefeiert wird, hat die Kommission einen Zünder in den Prozess eingebaut. Die sogenannte "vorläufige Anwendung" des Abkommens. Das bedeutet, dass die europarechtlichen Teile des Abkommens sofort nach der Abstimmung im Europäischen Parlament im Frühjahr 2017 in Kraft treten werden. Also noch vor der Abstimmung in nationalen Parlamenten wird der Löwenanteil des Abkommens politische Realität sein.

Und wenn ein Mitgliedsstaat später gegen Ceta stimmt, hat das zunächst gar keine Auswirkungen auf die vorläufige Anwendung. Diese bleibt, bis das Abkommen formal zu Grabe getragen wird. Was genau passiert, wenn ein Parlament dagegen stimmen sollte, weiß niemand: Die einen sagen, dann müsste der Vertrag an sich fallen. Die anderen sagen, dass dann nur die Teile ausgenommen würden, die rein die Gesetzgebung des Mitgliedsstaats betreffen würde. Von all dem aber abgesehen gilt jedenfalls: Laut Vertrag bleibt der umstrittene Investitionsschutz auch dann noch drei Jahre lang aufrecht, wenn er mal vorläufig in Kraft gesetzt wurde. Tatsache ist: Einen solchen Fall gab es bisher noch nie. Die EU wäre ähnlich unvorbereitet wie nach dem Brexit. (Sara Hassan, Inge Chen, 12.7.2016)