Es ist dieser Tage schwer, sich Nintendos Pokémon-Universum zu entziehen. Seit dem Start des Smartphone-Games "Pokémon Go" dominiert selbiges die Schlagzeilen. Auch der GameStandard widmete sich dem Spiel in den vergangenen Tagen sehr ausführlich. Doch nicht nur Games-Medien greifen die Entwicklungen rund um den Hype auf, auch viele traditionelle Online-Portale und Zeitungen räumen Pikachu und Co neuerdings Platz ein.

Das zeigt, dass das Spiel ob seines frühen Erfolges schwer zu ignorieren ist. Aber was macht das Spiel, das in vielen Teilen der Welt noch gar nicht offiziell (sehr wohl aber auf Umwegen) verfügbar ist, so populär? Ein Erklärungsversuch.

Großer Name

"Pokémon" ist als Marke mittlerweile 20 Jahre alt und wird weiterhin aktiv gepflegt. Viele junge Menschen kennen das Universum rund um die kleinen Monster und ihre ehrgeizigen Trainer ebenso, wie Junggebliebene in ihren Zwanzigern und Dreißigern.

Das betrifft längst nicht nur Gamer, die damals schon am Gameboy auf Monsterjagd gegangen sind. Die TV-Serie landete in unzähligen Ländern im Kinderprogramm, die Melodie des Intros von Staffel 1 weckt heute noch bei vielen Erinnerungen – auch bei Journalistinnen und Journalisten.

deinefuhrerin

Einfacher Zugang

Ein wichtiger Punkt ist auch die Zugänglichkeit von "Pokémon Go". Das Spiel ist kostenlos erhältlich und finanziert sich über Mikrotransaktionen, ohne dabei aber großen Zwang auszuüben. Das grundsätzliche Konzept ist simpel gehalten. Die taktischen Kämpfe des Originals wurden zu einem Geschicklichkeitsspiel mit minimalem taktischen Anspruch reduziert.

Traditionalisten mag das zurecht abschrecken, gerade für unerfahrene Spieler ist das Vermeiden von Überforderung jedoch ein wesentlicher Punkt. Stattdessen setzt das Game auf den Sammeltrieb der Teilnehmer.

Augmented Reality

Hinzu kommt die Einflechtung der Spielinhalte in die echte Welt, ein Konzept, das man auch als "Augmented Reality" kennt. Pokémon lassen sich zwar auch im eigenen Wohnzimmer fangen, effizienter ist es allerdings, hinauszugehen.

Man geht dank GPS-Ortung auf einem realen Kartenabbild der Welt spazieren, holt sich Spielgegenstände aus "Pokéstops" und schnappt sich Monster, die in der Umgebung auftauchen. In Arenen misst man die eigenen Pokémon mit jenen anderer Spieler und kann diese Orte auch für das eigene Team einnehmen, und sich durch anhaltende Dominanz mit virtuellen Münzen belohnen lassen.

Pikachu – gesichtet und gefangen nahe dem Wiener Museumsquartier.
Foto: derStandard.at/Pichler

"Pokémon Go" lässt "Ingress" hinter sich

Das Konzept ist bisher aufgegangen. Zum Vergleich: Mit "Ingress" pflegt Entwickler Niantic bereits seit über drei Jahren ein anderes Augmented-Reality-Game, dessen technische Basis sowie manche Inhalte auch in "Pokémon Go" übernommen wurden. Das Spiel, in dem zwei Fraktionen, Enlightened und Resistance, einer verschwörerischen Sci-Fi-Story folgen und um die globale Dominanz ringen, wurde laut Firmenchef John Hanke über zehn Millionen Mal herunter geladen. Aktive Spieler soll es etwas mehr als eine Million geben, verriet er der New York Times.

Eine Marke, die mit "Pokémon Go" schon längst übertroffen wurde. Die Popularität hat auch Niantic überrascht, was sich durch heftige, überlastungsbedingte Serverprobleme auch für die Spieler bemerkbar machte. Aus dem Phänomen für eine Nische ist Unterhaltung für den Mainstream geworden.

Firmen springen auf den Zug auf

Mittlerweile entdecken auch Organisationen und Unternehmen die digitale Monsterjagd. Die US Marines richten Vorzeige-Pokémon Pikachu aus, es möge Schießübungen nicht behindern. Erste Cafés stecken Lockmodule in nahe gelegene Pokéstops, um potenzielle Kundschaft anzulocken. Und der Wiener Autoteile-Händler Wolf gewährt aktuell 20 Prozent Nachlass auf Servicematerial, wenn man im Umkreis seiner Filialen ein Pokémon einfängt.

Foto: Auto Wolf/Facebook

Google Trends

In den Google-Suchtrends spielt sich ebenfalls Vielsagendes ab. Dort liegen die Anfragen nach "Pokémon Go" aktuell sogar vor jenen nach Pornos. Wenngleich das Analysetool keine absoluten Zahlen ausspuckt, sondern nur Relationen angibt, ist das ein sehr klarer Indikator für das massive Interesse an dem Spiel.

Dem Hype folgen mittlerweile auch zahlreiche Memes und Scherze – wie etwa eine Fake-Stellenausschreibung für einen Vollzeit-Pokémontrainer in Wien. Diese wiederum erhöhen die Bekanntheit des Games weiter und treiben das Interesse weiter an.

Die Entwicklung der Suchbegriffe "Pokémon Go" und "porn" in den vergangenen sieben Tagen auf Google (international).
Screenshot: Google Trends

Soziales Spiel

Der soziale Aspekt des Games ist dabei nicht zu unterschätzen. Das Game besitzt Potenzial, als Familienunterhaltung zu dienen, verdeutlicht etwa ein Artikel bei The Verge – auch dank seiner technischen Spielereien. Möchte man ein Pokémon fangen, so wird dieses mithilfe einer Überlagerung des Kamera-Bildes des Smartphones in die reale Welt eingefügt. Was für Erwachsene als nette Spielerei durchgeht, verwandelt das Game für Kinder in ein "Portal in eine magische Welt". Wenn sich dazu auch Menschen auf offener Straße darüber unterhalten, gerade ein "Habitak" (eines der Pokémon, Anm.) einzufangen wird klar, dass auch der Gaming-Kultur ein weiterer Schritt in Richtung breiter gesellschaftlicher Akzeptanz gelingt.

Außerdem werden bald weitere Features nachgeliefert, die schon seit je her ausschlaggebend für den Erfolg von Pokémon waren. Etwa eine Tauschfunktion, mit der Spieler untereinander ihre Monsterinventare ergänzen können. Denn nicht jedes Pokémon kommt überall auf der Welt vor. Wer sie, dem Leitprinzip von Spiel und Serie, "alle fangen" will, muss sich spätestens dafür auf andere Spieler einlassen – oder sich auf Weltreise begeben. (Georg Pichler, 13.07.2016)