Can Dündar, "Cumhuriyet"-Chefredakteur, trat Anfang Juli vorübergehend ab, nachdem er Morddrohungen erhalten hatte.

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Er ist das bekannteste Gesicht des Widerstandes gegen die Repression in der autoritär regierten Türkei: Can Dündar, Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, die als größtes mediales Bollwerk gegen Präsident Tayyip Erdogan gilt. Dieser Tage aber ist es vor allem Dündars Abwesenheit, die für Schlagzeilen sorgt.

Von außen ähnelt Cumhuriyet mehr einem Gefängnis als einer Redaktion: Umzäunt wird sie von einem gut zwei Meter hohen Gitter, eine Handvoll bewaffneter Sicherheitsmänner bewacht den Eingang. Wer hinein möchte, muss eine Sicherheitsschleuse passieren. Im Mai war Dündar wegen der Veröffentlichung geheimer Dokumente zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden, sein Ankara-Büroleiter Erdem Gül erhielt eine fünfjährige Gefängnisstrafe.

Ihr Artikel war ein regelrechter Coup: Sie zitierten Quellen, laut denen der türkische Geheimdienst illegale Waffentransporte an islamische Extremisten in Syrien geschickt haben soll. Zwar hat das Verfassungsgericht ihre Freilassung angeordnet, die Bestätigung der Verurteilung in zweiter Instanz gilt aber als sicher. Kurz vor der Urteilsverkündung schoss ein Mann vor dem Gerichtsgebäude auf Dündar. Danach erhielt er Morddrohungen, weshalb der vorübergehend seine Funktion abgetreten und sich für zwei Monate ins Ausland abgesetzt hat. "Was danach passiert, weiß niemand", sagt Dündars interimistischer Stellvertreter Aydin Engin. Dündar spricht von "Hexenjagd auf Journalisten".

35 Journalisten in Haft

Dündar ist der prominenteste Fall, aber bei weitem nicht der einzige. 35 Journalisten sitzen derzeit laut Turgay Olcayto, Vorstand des türkischen Journalistenverbandes TGC, in Haft. Er fordert eine Reform des türkischen Strafrechts, vor allem jener Paragrafen, die am Papier der Verfolgung von Terroristen dienen sollen, derzeit aber zum Vorgehen gegen politische Gegner und unliebsame Journalisten missbraucht werden. Dazu kommen an die 2000 Verfahren wegen "Beleidigung des Präsidenten", seitdem Erdogan im August 2014 das Amt antrat.

Hinzu kommt der finanzielle Druck: Medien kassieren Geldstrafen, öffentliche Anzeigen fallen weg, Unternehmen ziehen ihre Werbung aus Angst zurück.

Der Programmdirektor des Fernsehsenders Hayatensi Sesi TV, Arif Kosar, sagt: "Die vielen Geldstrafen kann ein größeres Medium schnell einmal wegstecken. Für kleine Sender wie uns aber stellen sie ein existenzielles Problem dar."

In einem derartigen Klima stellt bereits das Weitermachen eine Form des Widerstandes dar. Oder die Solidarität mit den Verfolgten: Neuerdings prangt auf den Titelseiten der oppositionellen Medien die Botschaft "Journalismus ist kein Verbrechen".

Bereits zuvor hatten Journalisten, Aktivisten und andere türkische Prominente damit angefangen, jeweils für einen Tag die Leitung von Zeitungen zu übernehmen, die besonders stark unter der Repression leiden. Gegen die kurdisch-türkische Zeitung Özgür Gündem etwa wurden wegen ihrer Berichte über Kämpfe im Südosten des Landes 150 Verfahren eingeleitet. Gegen den Chefredakteur von Özgür Gündem wurde zu fünf Jahren und neun Monaten Haft, sein Stellvertreter zu fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. In fast allen Fällen ging es um Berichte aus dem Südosten der Türkei, wo seit Monaten gekämpft wird. 63 Personen, die nicht Mitglieder der Redaktion sind, haben seit dem 3. Mai, dem internationalen Tag der Pressefreiheit, der Zeitung ausgeholfen.

"Besonders schwierig geworden"

Evrensel flatterten allein in den letzten sechs Wochen fünf Anzeigen ins Haus – unter anderem, weil die Redakteure trotz Nachrichtensperre über den Anschlag auf den Istanbuler Flughafen oder über die Zivilisten, die bei Militäroperationen in den kurdischen Gebieten umgekommen sind, berichtet hatten.

Evrensel-Chefredakteur Fatih Polat, sagt: "Sehr viele Menschen sterben bei diesem Konflikt, die Regierung betreibt eine Kriegspolitik und sie hätte aber gerne, dass niemand etwas darüber erfährt." Evrensel wurde im Lauf seiner Geschichte – seit der Gründung im Jahr 1995 – mehrmals verboten. Für Aufsehen sorgte der Fall ihres Reporter Metin Göktepe, der während seiner Haft im Jänner 1996 von Polizisten zu Tode geprügelt worden war. "Wir haben uns gewissermaßen schon an die Repression gewöhnt. Aber vor allem seit den jüngsten Wahlen in der Türkei ist es besonders schwierig geworden", sagt Fatih Polat.

Der TV-Sender IMC hingegen verlor mit einem Schlag die Hälfte seiner Zuseher, als er nach einem Interview mit einem PKK-Sprecher vom Satelliten- und Kabelnetz Türksat genommen wurde. IMC-Chefredakteur Eyüp Burc: "Alles, was Präsident Erdogan nicht passt, fällt unter Terror."

Berkant Gültekin, leitender Redakteur des Tageszeitung BirGün, sagt: "Wir kämpfen für Demokratie – das motiviert am Ende mehr, als es angsteinflößend ist." Gültekin wurde ebenfalls wegen Präsidentenbeleidigung angeklagt, weil er den Spruch von Demonstranten während eines Protests zitiert hatte, der hieß: "Räuber, Mörder, Erdogan!" (Anna Giulia Fink aus Istanbul, 14.7.2016)