"Die Einkommen steigen nicht oder zu wenig."

"Vom Lohn selbst bleibt wegen der Steuern nichts übrig."

"Alle anderen verdienen sowieso besser."

Das sind Stehsätze, wie sie in Gesprächen über Gehälter und Löhne immer wieder fallen. Der gemeinsame Nenner: Unzufriedenheit. Aber wie verteilen sich die Einkommen in Österreich eigentlich? Ist der eigene Verdienst im Vergleich zu anderen vielleicht doch besser als gedacht? Wie viel verdient das einkommenstärkste Prozent der Arbeitnehmer?

Antworten auf diese Fragen geben die Daten der Lohnsteuerstatistik. Das Forschungsinstitut für Ungleichheit der Wirtschaftsuniversität Wien hat für den STANDARD die Daten aller Personen ausgewertet, die 2014 Lohnsteuer an das Finanzamt gezahlt haben. Die Grafik zeigt die Verteilung der Einkommen in Österreich, heruntergebrochen auf 100 Arbeitnehmer. Jeder Punkt steht für ein Prozent der Arbeitnehmer – wenn Sie möchten, wird Ihr Punkt auf Basis Ihrer Angaben hervorgehoben.

Wählen Sie Informationen zu Ihrer Person aus, geben Sie Ihr Bruttoeinkommen an – die Anwendung berechnet, wo Sie in der Verteilung liegen. Keine Sorge, wir speichern keine Ihrer Angaben.

Was zeigt diese Grafik? Enthalten sind alle Personen, die 2014 lohnsteuerpflichtig waren. Das umfasst beispielsweise Vollzeitarbeiter am Bau, Teilzeitangestellte im Büro und Pensionisten. Sie können erkunden, wie die Einkommensverteilung je nach Geschlecht, Alter, sozialrechtlicher Stellung, Bundesland und Bildung variiert.

Was die Daten zeigen und nicht zeigen

Innerhalb dieser Bereiche lässt sich ein Bild der vermeintlichen Ungleichheit in einzelnen Bevölkerungsgruppen skizzieren. Was diese Daten nicht geben: Aufschluss über den Lebensstandard. Jemand, dessen Einkommen im unteren Fünftel angesiedelt ist, kann einen ebenso hohen Lebensstandard haben wie jemand, der zu den einkommensstärksten 20 Prozent zählt. Das Individualeinkommen verrät nicht alles über die Lebenssituation.

Detaillierte Statistiken für Gesamtbevölkerung fehlen

Mit wie vielen Personen jemand zusammenwohnt, die vielleicht ein besseres Einkommen haben oder von ihm/ihr mitversorgt werden, ist nicht ersichtlich. Das Vermögen aus Erbschaften sowie Einkünfte aus Kapitaleinkommen sind ebenfalls nicht enthalten. Über diese Daten gibt es in Österreich keine detaillierten Statistiken. Trotz dieser Defizite können Sie sich mit dieser Auswertung Ihrer Stelle als Arbeitnehmer im Einkommensgefüge annähern – und sehen, wie weit Sie auf der Einkommensleiter noch nach oben klettern könnten. Die Analyse zeigt im Groben vier Faktoren, die die Einkommensverteilung beeinflussen: Geschlecht, Bildung, Alter, Beschäftigungstyp.

Geschlecht: Worauf Unterschiede in der Lohnkurve von Mann und Frau zurückgehen

Wir sehen:

  • Das mittlere Einkommen ist bei weiblichen Arbeitnehmern deutlich niedriger als bei männlichen.
  • Die Grenzen, um als Topverdienerin zu gelten, sind niedriger.
  • Im einkommensschwächeren Drittel sind die Bruttomonatseinkommen von Männern schon deutlich höher.

Woran liegt das?

Hier spielen im Groben fünf Faktoren zusammen, deren Gewicht absteigend sortiert werden kann.

1. Mehr Frauen haben einen Teilzeitjob

Fast jede zweite Frau (48 Prozent) arbeitet Teilzeit, aber nur jeder zehnte Mann. Diese Tendenz hat sich in den vergangenen Jahren verstärkt. Es gibt einen Teilzeitboom.

Das hat gravierende Auswirkungen auf die Verteilung des Einkommens. Entscheidend ist, ob von der Erwerbslosigkeit in die Teilzeitbeschäftigung gewechselt wird oder ob jemand von einer Vollzeitstelle in eine Teilzeitbeschäftigung wechselt. Ersteres wäre zwar eine positive Entwicklung, würde sich aber negativ auf die Einkommensverteilung auswirken, weil eine neue Person in das untere Einkommensdrittel fällt.

Nur wenige Teilzeitbeschäftigte wollen mehr arbeiten

Die meisten sind mit ihrer Teilzeitbeschäftigung zufrieden: Nur elf Prozent der weiblichen Teilzeitbeschäftigten würden gerne mehr arbeiten (Eurostat). Positiv gedacht könnte das bedeuten: Manche müssen nicht mehr arbeiten, weil sie mit weniger Einkommen ein Auskommen finden. Oder viele Frauen nehmen eine neue Arbeit auf und werden wieder erwerbstätig.

Bereinigung um Arbeitszeit schließt Einkommensschere

Negativ gedacht könnte es auch heißen, dass viele nicht mehr arbeiten wollen, weil sie nicht können. Ihre Lebenssituation lässt es nicht zu, weil etwa Betreuungsplätze für Kinder fehlen. Detailliertere Daten zu den Motiven liegen für Österreich nicht vor. Betrachtet man nur Vollzeitstellen, verpufft ein Großteil der Unterschiede. Sie verschwinden allerdings nicht.

2. Frauen arbeiten eher in Branchen mit niedrigem Einkommen

Frauen arbeiten eher in den Branchen Gastronomie und Tourismus. Und sie suchen eher Lehrplätze im Einzelhandel oder als Friseurin – das sind beides Wirtschaftszweige, in denen der Verdienst niedriger ist. Technischere Berufe, die besser bezahlt werden, werden hingegen öfter von Männern angenommen.

3. Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt

Verhinderte Beförderungen, weil der Chef eine künftige Schwangerschaft nicht ausschließt; tendenziell weniger Geschick bei Gehaltsverhandlungen mit dem Vorgesetzten; weniger Flexibilität im Job und deshalb schlechtere Aufstiegschancen, weil sich Frauen mehr der Kindererziehung annehmen als Männer: Das sind nur drei der Faktoren, die Diskriminierung begünstigen. Quantifizieren lässt sich das Gewicht der Faktoren nicht.

Bild nicht mehr verfügbar.

Frauen nehmen sich eher der Kindererziehung an und stecken dafür im Berufsleben zurück.
Foto: dpa / frank leonhardt

4. Früherer Pensionsantritt der Frauen

Tendenziell steigt das Einkommen mit dem Alter – für Frauen allerdings in einem geringeren Maß als für Männer. Weil Frauen zudem früher die Pension antreten – Männer gehen mit 62,2 Jahren in den Ruhestand, Frauen mit 60,2 Jahren (OECD, 2014) –, fallen sie um ihre besten Einkommensjahre um. Das begünstigt eine Ungleichheit in den oberen Einkommensgruppen gegenüber den Männern.

5. Frauen unterbrechen Beschäftigung eher

Ein Teil der Ungleichheit lässt sich auch auf eine Zweiteilung im Arbeitsmarkt zurückführen: jene, die ihre Beschäftigung ganzjährig ausüben, und jene, die ihre Beschäftigung unterbrechen. So profitieren etwa ganzjährig beschäftigte Arbeitnehmer von besseren Kollektivvertragsabschlüssen mehr. Sie können Erhöhungen eher umsetzen.

Eine detailliertere Analyse, warum Frauen weniger verdienen als Männer, hat Kollege Andreas Sator hier geschrieben.

Bildung: Je höher, desto besser die Gehälter

Wir sehen

Je höher der Bildungsabschluss, desto stärker steigt die Lohnkurve an. Keine Variable beeinflusst die potenziellen Erwerbsmöglichkeiten so stark. Wer mit Pflichtschulabschluss ein Bruttomonatseinkommen von mehr als 2.665 Euro hat, zählt zu den einkommensstärksten 20 Prozent. Für Vollzeitbeschäftigte mit Matura liegt diese Grenze bei 4.990 Euro, bei Uni-Absolventen bei 6.868 Euro.

Was heißt das?

In den vergangenen Jahren gab es auf dem Arbeitsmarkt ein Plus bei Stellen für besser qualifiziertes Personal. Als Folge der Globalisierung wird die Nachfrage nach weniger gebildeten Menschen sinken, schreiben die Ökonomen der Agenda Austria in einem Bericht. Weil die Gehälter für besser Qualifizierte steigen, werde die Einkommensschere weiter auseinandergehen und sich die Ungleichheit verschärfen.

Wer studiert, hat höhere Chancen auf ein besseres Einkommen.
Foto: standard / robert newald

Alter: Je älter, desto höher das Einkommen

Wir sehen:

Das Einkommen richtet sich in Österreich nicht nach Produktivität, sondern nach Dienstjahren. Es gilt das Senioritätsprinzip. Das trifft vor allem auf Angestellte zu. Bei Arbeitern ist die Lohnspreizung nach Altersgruppen weniger ausgeprägt. Erfahrung spielt eine geringere Rolle.

Wozu führt das?

Eine Berechnung der Agenda Austria zeigt, dass das Senioritätsprinzip einerseits und Pensionierungen zwischen dem 56. und 65. Lebensjahr andererseits zu stärkerer Ungleichheit in der Altersgruppe führen. Viele haben zunächst das höchste Gehalt der Karriere, fallen danach ob ihrer Pensionierung aber plötzlich in der Einkommensstufe. Diese Lage könnte sich verschärfen, wenn in den nächsten Jahren die Generation der Babyboomer in den Ruhestand geht.

Beschäftigungsart: Flache Lohnkurve bei Arbeitern, steiler Anstieg bei Angestellten

Wir sehen:

Arbeiter haben eine vergleichsweise flache Erwerbskurve. Die einkommensstärksten zehn Prozent der Arbeiter (Vollzeit) verdienen mehr als 3.165 Euro brutto pro Monat. Bei Angestellten liegt diese Grenze bei 5.597 Euro, bei öffentlich Bediensteten bei 5.190 Euro. Die ausgeglichenere Verteilung spiegelt sich auch in einem 20:20-Verhältnis wider. Das ist eine Maßzahl, die die Einkommensgrenze der einkommensschwächeren 20 Prozent der Arbeitnehmer der Einkommensgrenze der 20 Prozent der einkommensstärksten gegenüberstellt. Je niedriger der Wert, desto flacher die Lohnkurve. Auf alle Arten von Arbeitsverhältnissen bezogen verdienen die oberen 20 Prozent in Österreich das 4,9-Fache der unteren 20 Prozent. Für Angestellte gilt der Faktor 5,8, für öffentlich Bedienstete und Arbeiter 3.

Woran liegt das?

In vielen Branchen, die tendenziell niedrigere Löhne bezahlen, sind Dienstverhältnisse als Arbeiter der Normalfall, etwa auf dem Bau. Außerdem sind Führungspositionen eine Seltenheit, und die Arbeiterschaft ist bezogen auf Bildungsabschlüsse eine eher homogene Gruppe. Das ist bei Angestellten anders. Dort gibt es eine größere Vielfalt an Bildungsabschlüssen: vom Einkäufer mit Lehre bis zur Vorstandsvorsitzenden mit Doktorat. Das hat Auswirkungen auf die Spreizung der Lohnkurve. Für den öffentlichen Dienst gilt: Dort ist das Bildungsniveau tendenziell hoch. A- und B-Beamte – Personen mit Matura oder höher – sind die Regel. Deshalb ist auch das Einstiegsgehalt vergleichsweise hoch. Zu den einkommensschwächeren Beamten 20 Prozent zählt, wer als Vollzeitbeschäftigter weniger als 2.727 Euro brutto pro Monat verdient. Bei Arbeitern sind es 1.678 Euro.

Das Maß der Ungleichheit unterscheidet sich also von Bevölkerungsgruppe zu Bevölkerungsgruppe. Wie ungleich eine Gesellschaft sein muss, um Wirtschaftsimpulse zu fördern, lässt sich nicht konkret beantworten. Diese Frage haben Forscher der OECD bis dato nur in umgekehrter Form beantwortet – nämlich was eine ungleiche Einkommensverteilung für das Wirtschaftswachstum bedeutet. So haben die Wissenschafter errechnet, dass die steigende Ungleichheit im OECD-Raum das BIP-Wachstum um fünf Prozentpunkte gedämpft hat. Der Grund: Weniger Menschen erreichen höhere Bildungsabschlüsse, Aufstiegschancen schwinden.

Und wie schneidet Österreich insgesamt im Vergleich zu anderen europäischen Ländern ab?

Faktor berechnet nach Abzug der Steuern und nach Sozialtransfers

Die einkommensstärksten 20 Prozent verdienen in Serbien das 9,8-Fache der einkommensschwächsten 20 Prozent – gemessen an der Einkommenssumme. In Österreich gilt der Faktor 4,1, in Island sind die Individualeinkommen mit einem Faktor von 3,1 am ausgeglichensten verteilt. "Was die Einkommen der Arbeitnehmer betrifft, ist die Einkommensverteilung in Österreich relativ egalitär", sagt Stefan Humer, Wissenschafter an der WU. Was allerdings fehlt: vergleichbare Daten zum Einkommen von Selbstständigen und vor allem aus Kapitaleinkünften. Deshalb kann das Bild der Einkommensverteilung in Österreich für die gesamte Bevölkerung nur unvollständig skizziert werden, Verhältnisse für Arbeitnehmer werden aber dennoch sichtbar. (Gerald Gartner, Markus Hametner, 16.7.2016)