Der Verein "Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie" veröffentlichte die Angaben über Zahlungen von 54 Mitgliedsunternehmen. Viele Firmen, haben sich dieser Transparenz-Initiative noch nicht angeschlossen.

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Berlin – Ende Juni legten 54 Pharmakonzerne erstmals offen, wie viel Geld sie an deutsche Ärzte, Apotheker oder medizinische Einrichtungen gezahlt haben. Insgesamt sind im Vorjahr 575 Millionen Euro an mehr als 71.000 Ärzte und 6.200 medizinische Einrichtungen geflossen, wie eine Auswertung von Spiegel online und dem Recherchezentrum "Correctiv" ergab.

Zusätzlich können über eine Datenbank, die Namen von 20.000 Ärzte, die im vergangenen Jahr Geld von der Pharmaindustrie erhalten haben, von jedem Internetnutzer abgerufen werden. Das heißt, von den 71.000 Ärzten hat nur etwa ein Drittel einer individualisierten Veröffentlichung zugestimmt.

Laut Spiegel online ist der Spitzenreiter unter den namentlich bekannten Geldempfängern ein Arzt in Essen, der im Jahr 2015 mehr als 200.000 Euro für Vorträge, Beratung, Fortbildungsveranstaltungen und Spesen erhalten hat. Danach folgt ein Mediziner aus Bonn (148.000 Euro). Auf Platz drei und vier liegen zwei Diabetologen mit 128.000 Euro bzw. 100.000 Euro. Den geringsten Beitrag rechnete ein Chefarzt aus einer Reha-Klinik ab: 2,10 Euro für Reisekosten.

Zu wenig Transparenz

Experten stehen der "Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie" ambivalent gegenüber. Klaus Lieb, Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie in Mainz begrüßt diesen Schritt grundsätzlich, betont jedoch, dass es nach wie vor Transparenzprobleme gebe: "Die Ärzte können mit Berufung auf den Datenschutz einer Veröffentlichung widersprechen. Es ist daher zu erwarten, dass gerade bei den Ärzten mit Interessenkonflikten keine Transparenz erreicht wird."

Kritik äußert der Mediziner, der eigenen Angaben zufolge seit 2007 keinerlei persönliche Gelder oder andere Zuwendungen der Pharmaindustrie angenommen hat, außerdem an der Darstellung der Daten in aggregierter Form: "Damit wird es nur mit großem Rechercheaufwand möglich sein, über individuelle Ärzte Informationen zu finden. Außerdem gibt es noch viel mehr Firmen, die sich dieser Transparenz-Initiative noch nicht angeschlossen haben – der Gesamtumfang der Zuwendungen bleibt also weiter im Dunkeln", so der Psychiater.

Misstrauen gegenüber Ärzten

Wenig Freude mit der Offenlegung zeigt auch der Verein "Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie" (DGHO). Die Begründung: Das in der Öffentlichkeit geschürte Misstrauen gegenüber jeder Art der Kooperation von Ärztinnen und Ärzten mit der Pharmaindustrie sei in mehrfacher Hinsicht bedenklich, heißt es vonseiten der DGHO: "Es schädigt den Ruf der Ärzteschaft, und es stellt forschende, mit der Industrie kooperierende Ärztinnen und Ärzte unter den Generalverdacht, korrupt zu sein."

Die Organisation könne deshalb nachvollziehen, dass "viele Kolleginnen und Kollegen aufgrund der nicht absehbaren Auswirkungen auf das private und berufliche Leben der Veröffentlichung von personenbezogenen Daten bisher nicht zugestimmt haben."

Keinen Mehrwert

Für Diskussionen sorgt besonders die Regelung, dass Gelder, die für die Durchführung von Anwendungsbeobachtungen und Medikamenten-Studien laut Spiegel online nur als Summe ausgewiesen werden: Im Vorjahr waren das insgesamt 366 Millionen Euro, welcher Anteil davon nur an Ärzte ging, sei aber nicht bekannt.

Bemängelt werde zudem die mangelnden Konsequenzen: "Transparenz ist wichtig, aber sie ist sinnlos, wenn sie ohne Folgen bleibt", so Klaus Lieb. Die vorliegenden "Zahlen zeigen nichts, was wir nicht schon längst wussten: Dass nämlich Ärzte regelmäßig von Pharmavertretern besucht und in ihrem Verordnungsverhalten durch die Industrie in unlauterer Art beeinflusst werden", resümiert der Psychiater.

Auch in Österreich haben österreichische Pharmaunternehmen ihre "geldwerten" Unterstützungsleistungen für 2015 offengelegt. Für Klinische Forschung, Vorträge, Beratung und Fortbildung waren es rund hundert Millionen Euro. Insgesamt haben sich mehr als 100 Unternehmen dem Verhaltenscodex der Pharmig, kurz VHC, verpflichtet – und damit der Großteil der österreichischen pharmazeutischen Industrie. (red, 14.7.2016)