Der junge Harold ist vom Tod fasziniert, geht gerne auf Beerdigungen und verliebt sich in die 60 Jahre ältere, "fröhlich-morbide" Maude. "Wer nicht weiß, warum die siebziger Jahre auch komisch, herzerwärmend und großartig waren, kann es in diesem Film lernen", empfiehlt Kurt Kister diesen Film in der SZ-Cinemathek.

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Neuhochdeutsch Sarg (mittelhochdeutsch sarc "Sarg, Schrein für ein Götzenbild; Badewanne") ist wie vulgärlateinisch *sarcus ein sogenanntes Kopfwort, das heißt, es hat nur der erste Teil des ursprünglich zusammengesetzten Adjektivs überlebt: griechisch sarko-phagos "fleischfressend" (aus sarx "Fleisch" + phagein "fressen"). Aus dem ursprünglichen Adjektiv wurde ein Nomen. Spätlateinisch sarcophagus (verkürzt aus líthos sarkophágos) nimmt die Bedeutung "Kalkstein" an, weil bei Grabmälern eine besondere Art von Kalkstein verwendet wurde, die den Verwesungsprozess beschleunigte.

Ein Sarkophag ist laut Duden ein prunkvoller, steinerner Sarg, aber das Simplex Sarg ist meist ein aus Holz (seltener aus Metall) gefertigtes längliches Behältnis mit Deckel, in das Tote gelegt werden. Während heute Särge entweder verschraubt oder mit Egoferm-Klebebändern verschlossen werden, wurden sie früher zugenagelt. Da Sargnägel außer Gebrauch gekommen sind, gibt es hoffentlich auch keine Eltern mehr, die zu ihrem Kind sagen: "Du bist mein Sargnagel." Tschick oder lästiger Zeitgenosse?1 Egal, beides ist unserer Gesundheit nicht zuträglich.

Angeblich sei Stefanie Sprengnagel (geb. 1986), deren Kurztexte auf Facebook eine Menge Fans begeistern, aus reinem Zufall zu ihrem etwas ausgefallenen Pseudonym Sargnagel gekommen. Ihr Text "Penne vom Kika", mit dem sie, sonnenbebrillt und mit roter Baskenmütze, den diesjährigen Bachmann-Lesewettbewerb eröffnete, der hat zugegebenermaßen was unverfroren Dekadentes.

In den modernen germanischen Sprachen liegen die Toten vorwiegend in Kisten (norwegisch und dänisch kiste, schwedisch kista, niederländisch kist). Umgangssprachlich hüpfen wir alle einmal in die Kiste und liegen dann dort alleine, sanft entschlafen. Die Wendung ist jedoch doppeldeutig. Denn wenn wir mit einem anderen in die Kiste hüpfen, fühlen wir uns kein bisschen tot, ganz im Gegenteil: sehr lebendig.

In den romanischen Sprachen gehen die Bezeichnungen für den Gegenstand, in dem die Toten ruhen, ziemlich auseinander. Französisch cercueil leitet sich wie Sarg vom lateinischen sarcophagus ab. Die Spanier haben ataúd "Sarg" von den Mauren übernommen (aus arabisch at-tābūt). Überraschenderweise finden wir tabut auch im Türkischen.

Portugiesisch caixão "Sarg", eine Erweiterung von caixa "Schachtel, Kiste, Box", geht letztlich auf lateinisch capsa "Kapsel, Büchse, Schachtel" zurück (zum Verb capere "fassen, fangen, empfangen, in sich aufnehmen"). Lateinisch capsa wiederum findet sich als cassa da morte "Sarg" im Italienischen, caja de muertos im Spanischen, französisch châsse bedeutet "Heiligenschrein".
Der italienische Sarg heißt auch bara. Bara ist ein Lehnwort aus dem Germanischen und entspricht etymologisch unserer Bahre (siehe Totenbahre und aufbahren). Auch das Französische kennt neben cercueil für "Sarg" das Lehnwort bière als Synonym.

Bahre (gotisch bêra, althochdeutsch pāra, mittelhochdeutsch bâre, altenglisch bære, neuenglisch bier) lässt sich zur indogermanischen Wurzel *bher- "tragen" stellen (althochdeutsch beran/peran, mittelhochdeutsch bern "tragen", neuenglisch bear-bore-born). Tragbahre ist übrigens ein Pleonasmus, weil beide Wortbestandteile dasselbe bedeuten. Während Tragbahre semantisch transparent ist, denken wir bei gebären und Geburt nicht mehr an die Ursprungsbedeutung "tragen". Dem Wortsinn nach aber bedeutet gebären "neun Monate austragen", und die Geburt ist das Ereignis, das nach Ablauf der Schwangerschaft (bei Tieren: Trächtigkeit, Tragzeit) eintritt.
Von derselben indogermanischen Wurzel *bher- leiten sich auch lateinisch ferre "tragen, ertragen, bringen" und feretrum "Trage" ab (vgl. italienisch feretro und spanisch féretro "Sarg, Totenbahre").

Englisch coffin2 "Sarg" wird im 14. Jahrhundert aus altfranzösisch cofin "Sarg" entlehnt, hatte aber zunächst noch die Bedeutung "Behältnis für Wertsachen", und erst im 16. Jahrhundert entwickelte sich der heutige Wortsinn. Französisch coffre beinhaltet semantisch ganz etwas anderes als Tote, nämlich Wertsachen oder sonst noch allerhand Tand. Es bedeutet "Safe, Kofferraum, Schließfach, Kiste, Truhe", ähnlich wie italienisch cofano "Truhe, Kasten, Kofferraum". Spanisch cuévano ist ein Tragekorb. All diese Etyma gehen zurück auf griechisch kóphinos "großer Tragekorb" und lateinisch cophinus "Weidenkorb".

Was läge jetzt näher als ans Kofferpacken zu denken (einen Samsonite-Hartschalenkoffer?), weil vielleicht der Urlaub bevorsteht? Lektüreempfehlung: "Harold and Maude", falls Sie Skurriles lieben und Ihren englischen Wortschatz rund ums Sterben und Bestatten vergrößern wollen …

Sarg war zwar der Ausgangspunkt unserer Wort-Reise, er markiert jedoch das Ende unserer Lebensreise. Wann das sein wird, wissen wir nicht. Mit wieviel Weisheit im Koffer wir abtreten, das fällt hingegen in unsere Verantwortung. (Sonja Winkler, 18.7.2016)