Seit 2009 haben sich die Territorialstreitigkeiten im Südchinesischen Meer, das eine zentrale Schifffahrtsroute und reich an Öl- und Gasressourcen sowie Fisch ist, deutlich verschärft. Die meisten Beobachter führen dies auf ein aggressiveres Auftreten Chinas insbesondere gegenüber den Philippinen und Vietnam zurück.

Peking reklamiert 80 bis 90 Prozent des Südchinesischen Meeres für sich, darunter die Paracel- und Spratly-Inseln. Versinnbildlicht werden diese Territorial- und Souveränitätsansprüche in der sogenannten Neun-Striche- oder U-Linie. Der Ständige Schiedshof in Den Haag hat diesen am Dienstag in seinem detaillierten, 500 Seiten langen Urteil jedoch eine klare Absage erteilt: Es gäbe keine Rechtsgrundlage dafür, dass China "historische Rechte" auf die Meeresressourcen im von der U-Linie begrenzten Territorium geltend machen könne. Die Forderung widerspreche dem Seerechtsübereinkommen Unclos (UN Convention on the Law of the Sea), das China unterzeichnet hat.

Auch sonst bekam Manila mit seiner klug formulierten, Souveränitätsfragen bewusst ausblendenden Klage weitgehend recht. Gestützt auf Unclos sowie geologische und historische Abwägungen, erklärte der Schiedshof, dass keine einzige Landformation in der Spratly-Gruppe rechtlich eine Insel ist. Daher entfällt der Anspruch auf eine Ausschließliche Wirtschaftliche Nutzungszone (AWZ) von 200 Seemeilen.

Souveränität behindert

Zudem bestätigten die fünf Richter erwartungsgemäß, dass einer künstlich aufgeschütteten Insel keine AWZ zusteht, sondern, sofern es vorher ein Felsen war, maximal eine Zwölf-Meilen-Zone. Weitreichend ist der Spruch, dass einige strittige Meeresgebiete in die philippinische AWZ fallen. Noch dazu habe Peking die Souveränität Manilas durch Landaufschüttungen, Ressourcenabbau und Behinderung der Fischerei teilweise verletzt, auch sei es für Umweltzerstörungen verantwortlich.

Für Peking ist der Schiedsspruch eine herbe juristische Niederlage, auch wenn es von Anfang an klar gemacht hat, dass es das Urteil nicht anerkennt. Seine lautstarke Kritik am angeblich politischen und illegitimen Charakter des Verfahrens wird andauern. Zwar wird China die besetzten künstlichen Inseln nicht aufgeben. Doch ebenso wenig wird es sich zu größeren militärischen Provokationen hinreißen lassen, würde dies doch die USA noch stärker auf den Plan rufen.

Auch politisch hat Peking verloren: Trotz massiven Drucks auf die philippinische Regierung konnte es diese (anders als die vietnamesische) nicht von der Klage abbringen. Im Gegenteil, es ließ Manila kaum eine andere Wahl, verzögert es doch seit 2002 Verhandlungen über einen bindenden Verhaltenskodex im Südchinesischen Meer unter dem Dach der Assoziation südostasiatischer Nationen (Asean).

Risiko einer Konfrontation steigt

Zwar spielt das militärische Element (Kooperation mit den USA und Japan) ebenfalls eine wichtige Rolle in Manilas Internationalisierungsstrategie; noch deutlicher ausgeprägt ist es aber in Hanois Strategie: Gezielt stärkte Vietnam in den letzten Jahren seine Luftwaffe und Marine gegenüber China und bindet die USA, Japan und Indien sicherheitspolitisch und wirtschaftlich eng in die Region ein. Damit steigt das Risiko einer Konfrontation.

Peking hat sich die von ihm beklagte Internationalisierung und Militarisierung des Konflikts aufgrund seines Verhaltens zwar selbst eingebrockt. Dennoch muss ihm nun die Möglichkeit zur Gesichtswahrung geboten werden. Die Reaktion der Philippinen – Genugtuung, aber kein Triumph – war deshalb politisch sehr weise, auch hat der neue Präsident Duterte bilaterale Verhandlungen nicht ausgeschlossen.

Mit dem ausführlichen, wohlbegründeten Urteil liegen wichtige Orientierungshilfen für mögliche weitere Gerichtsverfahren, aber auch, noch wichtiger, zwischenstaatliche Verhandlungen vor. Denn Territorial- und Souveränitätskonflikte lassen sich nicht ausschließlich mit den Mitteln des Völkerrechts lösen.

Ein neutraler Rahmen

Den idealen, weil neutralen Verhandlungsrahmen bietet Asean. Die Organisation steht für Dialog, Konsens und eine regelbasierte Ordnung mit wirtschaftlichen, politischen und sicherheitspolitischen Institutionen in Ostasien. Für die ostasiatischen Länder ist entscheidend, ob sich China weiterhin in diese Ordnung einfügt. Baut es stattdessen auf seine eigene Macht, so würden sich noch mehr Staaten sicherheitspolitisch an die USA anlehnen. Insofern hat Peking starke Anreize, sich an Asean-Verhandlungen zu beteiligen.

Einflusssphären

Notwendig ist aber politische Kompromissbereitschaft von allen Parteien. Am realistischsten ist, dass diese schrittweise vertrauensbildende Maßnahmen beschließen, bis hin zu gemeinsamer Exploration und Förderung der Öl- und Gasressourcen. Denkbar ist auch die Abgrenzung von Einflusssphären. Ist dadurch erst einmal ausreichend Vertrauen geschaffen, können die heiklen Souveränitätsfragen verhandelt werden. Neben multilateralen Verhandlungen könnten bei Bedarf auch, ohne dies in Südostasien an die große Glocke zu hängen, bilaterale geführt werden.

Der diplomatische Weg wird zwar langwierig, doch von einer militärischen Eskalation, die wohl die USA und Japan einbeziehen würde, hat auch China nichts . Der Druck auf Peking, den Spruch des Schiedshofes anzuerkennen, wird hoch bleiben, geht es doch um die Grundsatzfrage, ob sich im Südchinesischen Meer die Macht des Rechts oder die Macht des Stärkeren durchsetzt. (Alfred Gerstl, 18.7.2016)