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Trauer, Gedenken und Gebet im Urlaubsparadies: Auf der Promenade des Anglais in Nizza, gedachten Angehörige und Passanten der Opfer des Anschlags.

Foto: AP / Frank Jordans

Das Leben muss weitergehen – jetzt erst recht: Mit dieser trotzigen Haltung kehrten am Wochenende – mitten in einer dreitägigen Staatstrauer – Einwohner und Touristen bei strahlendem Sonnenschein auf die Promenade des Anglais in Nizza zurück, wo am französischen Nationalfeiertag 84 Menschen durch eine Amokfahrt umgekommen waren. In den Spitälern kämpften am Sonntag immer noch 18 Schwerverletzte um ihr Leben; 300 kurieren ihre Blessuren oder ihren Schock.

Die Konturen des Tatmotivs wurden am Sonntag etwas klarer: Die These eines aggressiven und deprimierten Solotäters, der möglichst viele Menschen in seinen Suizid mitreißen wollte, scheint nicht mehr haltbar. Am Samstag bekannte sich der "Islamische Staat" (IS) zu dem Attentat und bezeichnete Mohamed Lahouaiej-Bouhlel als seinen "Soldaten".

Die französische Polizei ermittelt derweil im Umfeld des Täters auf mögliche islamistische Kontakte. Die in Scheidung befindliche Ehefrau, die als Erste festgenommen worden war, kam am Sonntag wieder auf freien Fuß. Zu vier Verhafteten kamen am gleichen Tag weitere zwei dazu. Einer von ihnen soll mit Lahouaiej-Bouhlel am Tag der Tat in telefonischem Kontakt gestanden haben. Medien berichteten, der 31-jährige Lieferant habe ihm kurz vor der Horrorfahrt eine SMS geschickt, in der er um "mehr Waffen" ersucht habe. Warum im Lkw neben einer echten Pistole auch Waffenattrappen gefunden wurden, ist noch nicht erklärt.

Der französische Premierminister Manuel Valls erklärte dem Journal du Dimanche, erste Indizien deuteten darauf hin, "dass sich der Attentäter sehr schnell radikalisiert" habe. Die Zeitung Le Monde berichtete, der Fahrer habe weder gebetet noch den Ramadan befolgt; auch habe er Alkohol getrunken und Schweinefleisch gegessen.

Das könne aber auch eine Verschleierungstaktik eines IS-Mitläufers gewesen sei, schätzt das Blatt, um mit Bezug auf Ermittler zu schreiben, der Tunesier habe auch Kontakte zu einem Jihadisten aus Nizza gepflegt, der den Geheimdiensten bestens bekannt ist.

Enormer Druck

Dass diese Informationen so rasch an die Öffentlichkeit gelangen, hat seinen Grund zweifellos auch in dem enormen Druck, unter dem Behörden und Regierung stehen. Sie begegnen damit auch den Vorwürfen der Opposition, die sich anders als bei den Pariser Attentaten von 2015 nicht mehr zurückhält. Der konservative Bürgermeister von Nizza, Christian Estrosi, hatte schon am Morgen nach dem Anschlag moniert, seine diversen Gesuche um stärkere Polizeipräsenz seien von Paris nicht einmal beantwortet worden. Front-National-Chefin Marine Le Pen forderte die Regierung auf, sich "nicht mehr nur auf einen Krieg der Worte zu beschränken".

Der sozialistische Innenminister Bernard Cazeneuve konterte, indem er "alle Patrioten" aufrief, sich der Reservetruppe der Armee anzuschließen. Sie sollen die 10.000 im Einsatz stehenden Berufssoldaten bei Kontrollen und Patrouillen unterstützen.

Dieser sehr politische Schlagabtausch macht klar, dass die Kampagne für die Präsidentschaftswahl 2017 bereits begonnen hat. Selbst der eher gemäßigte Favorit der konservativen Republikaner, Alain Juppé, erklärte, das Attentat wäre "nicht möglich gewesen, wenn alle Maßnahmen ergriffen worden wären". Präsident François Hollande darf sich angesprochen fühlen. Premierminister Manuel Valls konterte, die von Juppé geforderten Zusatzmittel für Polizei, Geheimdienste und Verbände zur "Entradikalisierung" seien längst mobilisiert worden.

Laut einem Pariser TV-Sender hatte der Attentäter eine kleine Zufahrtsstraße zur Promenade des Anglais benützt. Sie war zwar an ihrem Ende vorschriftsgemäß abgesperrt. Der 19-Tonner überfuhr die mannshohe Sperre aber und gelangte so in die provisorische Fußgängerzone, wo 30.000 Zuschauer gerade das städtische Feuerwerk verfolgt hatten und auf dem Nachhauseweg waren.

Ausnahmezustand verlängert

Unumstritten ist die Verlängerung des Ausnahmezustands um weitere drei Monate. Antiterrorexperten bezweifeln allerdings seine Wirkung. Der konservative Abgeordnete Georges Fenech, Autor eines Parlamentsberichts über die Verfehlungen des Geheimdienstes und der Schnelleinsatzpolizei, meinte, der Ausnahmezustand sei nach ersten Erfolgen Ende 2015 nur noch eine Beruhigungsaktion für die Bevölkerung. (Stefan Brändle aus Paris, 17.7.2016)