Mainz – Sesshaftigkeit, Ackerbau und Viehzucht kamen vor über 10.000 Jahren zum ersten Mal in einer Region zwischen Südostanatolien, Iran, Irak und Syrien auf, die als der Fruchtbare Halbmond bezeichnet wird. Der Übergang zu einem neuen Lebensstil wird als solch radikale Veränderung der menschlichen Lebensform betrachtet, dass der Begriff "Neolithische Revolution" dafür geprägt wurde. Etwa 2.000 Jahre später tauchte die neue jungsteinzeitliche Lebensweise in Südosteuropa und kurz darauf auch in Zentraleuropa und im europäischen Mittelmeerraum auf.

Allerdings muss man sich wohl von der Idee verabschieden, dass es ein einziges Zentrum der Innovation war, von dem aus sich der neue Lebensstil über den westlichen Teil der Alten Welt – bis nach Europa und Indien – ausbreitete, berichtet die Universität Mainz. Ein Team um die Mainzer Forscherin Farnaz Broushaki stellte nämlich zwei unterschiedliche genetische Abstammungslinien fest. "Wir waren sehr erstaunt über diesen Befund", sagt Broushaki.

Zug nach Osten, nicht nach Westen

Eine der ersten steinzeitlichen Kulturen, die Ackerbau betrieben, lebte im Zagrosgebirge, einer Region im heutigen Iran. Diese bislang unbekannte Bauernpopulation gehört nach den neuen Erkenntnissen zu den Vorfahren der meisten modernen Südasiaten. Demnach zeigen sich vor allem Ähnlichkeiten der Zagros-Population mit der heutigen Bevölkerung Pakistans und Afghanistans, ganz besonders aber zu iranischen Zoroastriern – einer religiösen Gruppe, die sich vielleicht weniger mit späteren Siedlungswellen vermischt und daher das genetische Erbe stärker bewahrt hat, vermutet Broushaki.

Die Zagros-Population gehört jedoch nicht zu den Vorfahren der ersten Bauern Europas und ebenso wenig zu den Ahnen moderner Europäer. "Erst vor Kurzem hat unser Team herausgefunden, dass die ersten europäischen Bauern eine nahezu ununterbrochene Ahnenkette bis zu den ersten Siedlern Nordwestanatoliens aufweisen. Jetzt sieht es ganz danach aus, dass diese Kette irgendwo im östlichen Anatolien abgerissen ist", so die Forscherin.

Gemäß der erst kürzlich veröffentlichten früheren Studie gelangten neolithische Siedler aus der Gegend um das nördliche Griechenland und das Marmarameer entlang einer Balkanroute nach Mitteleuropa. Etwa zur gleichen Zeit erreichten prähistorische Bauern aus dem ägäischen Raum auch über das Mittelmeer die Iberische Halbinsel. Die Kolonisatoren brachten die sesshafte Lebensweise, landwirtschaftliche Praktiken und domestizierte Tiere und Pflanzen nach Europa.

Zwei nahe beieinanderliegende Ursprünge

Insgesamt deuten die Studien der Mainzer Palaäogenetiker darauf hin, dass zumindest zwei hoch unterschiedliche Gruppen die weltweit ersten Landwirte hervorbrachten: die Zagros-Population im östlichen Fruchtbaren Halbmond, Vorfahren der meisten modernen Südasiaten, und die ägäischen Bauern, die vor etwa 8.000 Jahren nach Europa migrierten.

Joachim Burger, Seniorautor der Studie, fasst abschließend zusammen: "Der Ursprung der Landbewirtschaftung und Viehhaltung ist genetisch gesehen komplexer, als wir dachten. Anstatt von einem einzelnen neolithischen Zentrum zu sprechen, sollten wir daher besser die Idee einer 'föderalen' neolithischen Kernzone aufgreifen." (red, 18. 7. 2016)