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Die Granden der türkischen Armee beim Begräbnis von Kenan Evren, dem Anführer des Militärputsches von 1980, im Mai 2015. Von links: Generalstabchef Hulusi Akar, Marine-Kommandant Bulent Bostanoğlu und der damalige Luftwaffen-Chef Akın Öztürk.

Foto: AP Photo/Burhan Ozbilici

Nach dem gescheiterten Putschversuch in der Türkei sind noch viele Fragen offen. Nicht zuletzt jene, wer überhaupt hinter dem missglückten Umsturz gestanden ist. Klar ist bisher lediglich, dass nicht die gesamte Armee die Putschisten unterstützte; Luftwaffe und Gendarmerie sollen im Zentrum der Planungen gestanden sein.

Die Regierung betont, dass eine der Basen der Putschisten der Luftwaffenstützpunkt Akıncı nordwestlich von Ankara gewesen sei, wo Generalstabschef Hulusi Akar festgehalten wurde. Ein weiteres Zentrum scheint laut Regierungskreisen der Luftwaffenstützpunkt Diyarbakır in Anatolien gewesen zu sein, wo sechs F16-Jagdflugzeuge der Putschisten abgehoben haben sollen, die über Istanbul und Ankara kreisten, und wo nach Angaben der Regierung rund 100 Putschisten festgenommen wurden.

Ex-Chef der Luftwaffe verhaftet

Insgesamt wurden nach den Ereignissen in der Nacht auf Samstag bisher tausende Verdächtige festgenommen, darunter zahlreiche ranghohe Armeeangehörige. In diesem Zusammenhang bereits mehrfach genannt wurde Akın Öztürk, von 2013 bis 2015 Chef der türkischen Luftwaffe und zwischen 1998 und 2000 als Militärattaché in Israel stationiert. Wenngleich er nicht mehr an der Spitze der Luftwaffe stand, war er nach wie vor Mitglied des einflussreichen Obersten Militärrats. Zu der von Regierungskreisen kommenden Anschuldigung, Anführer des Putsches gewesen zu sein, hat Öztürk bereits Stellung genommen. Er bestreitet jegliche Beteiligung.

Neben Öztürk werden Medienberichten zufolge auch der Befehlshaber der Ausbildungskommandos der Armee, Metin Iyidil, und der Stabschef des Ägäis-Kommandos, Memduh Hakbilen, genannt. Laut der Zeitung "Sabah" gehören außerdem die Kommandanten der Zweiten und der Dritten Armee, General Adem Huduti und Generalleutnant Erdal Öztürk, zu den Hintermännern des Putschversuchs. Aufgabe der Zweiten Armee ist unter anderem der Schutz der Grenze zu Syrien, dem Irak und dem Iran, die Dritte Armee ist für den Schutz der Grenze zu Armenien und Georgien verantwortlich.

Unterschiede zu früheren Putschversuchen

Damit wären an dem Putsch ranghohe Vertreter von drei der vier Armeen der türkischen Streitkräfte beteiligt gewesen. Dennoch misslang der Versuch, und viele Fragezeichen stehen im Raum. Ein Unterschied zu früheren Putschversuchen ist jedenfalls der fehlende Rückhalt innerhalb der Armee selbst: Die in Istanbul stationierte Erste Armee, der am meisten Bedeutung beigemessen wird, und der Generalstabchef weigerten sich beispielsweise, sich an dem Umsturz zu beteiligen.

Zudem mangelte es an Unterstützung in der Bevölkerung, die bei früheren Putschversuchen hinter dem Militär gestanden war. Anders als bei vergangenen Staatsstreichen wollten die "Rädelsführer" offenbar vorerst anonym bleiben. Sie zwangen eine Moderatorin des Staatssenders TRT, die Erklärung des selbsternannten "Komitees für inländischen Frieden" zu verlesen. Interessant ist dabei, dass die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara kurz darauf bereits eine Liste derer parat hatte, die den Coup geplant haben sollen.

"Kamikaze-Aktion"

Alles in allem wirkte die Aktion übereilt und schlecht organisiert. Der Istanbuler Politikwissenschafter Akin Ünver sprach im "Spiegel" sogar von einer "Kamikaze-Aktion" einer Gruppe, "die eher aus Frustration denn aus Kalkül gehandelt hat". Auch aus Regierungskreisen heißt es, dass hinter dem Staatstreich vor allem Armeeangehörige stehen würden, die befürchtet hätten, bei einem Treffen des Militärrats im August ihre Posten zu verlieren.

Diese sollen schon länger geplant haben, die Regierung zu stürzen – darauf deutet eine Liste hin, die laut "Süddeutscher Zeitung" bei einem Verhafteten in Bursa gefunden wurde. Der Liste zufolge soll bereits festgestanden sein, wer nach dem Staatsstreich welche Positionen übernehmen wird. Viele der beteiligten – und mitunter sehr jungen – Soldaten wurden hingegen unter dem Vorwand einer Übung zu dem Einsatz befohlen. (moj, 18.7.2016)