Bild nicht mehr verfügbar.

Jene Männer, die Ankara der Beteiligung am Putschversuch bezichtigt, trugen nach der Verhaftung Spuren der Gewalt. Auch Exluftwaffenchef Akin Öztürk (Mitte) ist darunter.

Foto: Getty Images / Anadolu Agency / Murat Kula

Hulusi Akar kam ohne Krawatte. Rote Striemen sind an seiner Kehle sichtbar. Man habe ihn mit einem Gürtel gewürgt, erzählt der Stabschef der türkischen Armee in einem Briefing nach dem Putsch, so berichteten die türkischen Medien am Montag. Sein eigener Privatsekretär wollte ihn zwingen, die Erklärung der Putschisten über die Machtübernahme im Land zu unterschreiben und zu verlesen. "Kommandant, unterzeichnen Sie! Sie werden sehen, sehr gute Dinge werden geschehen", soll Akars Sekretär gesagt haben.

Zwei Tage nach dem Coup in der Türkei kommen mehr Details zutage. Sie zeigen einerseits den recht beträchtlichen Umfang dieses Umsturzversuchs, an dem sich scheinbar tadellose, nie auffällig gewordene Generäle der Armee beteiligten. Doch andererseits tauchen auch neue Fragen über Sinn und Zeit dieser Unternehmung auf, die das Land und seine Verbündeten in der Nato schockierte.

Auch am Montag Operationen in Gang

Akar wurde am späten Freitagabend in seinem Büro im Generalstab in Ankara erst gefesselt und auf den Boden geworfen, als er sich weigerte, die Putscherklärung zu unterschreiben. Später brachten ihn die Umstürzler auf eine Luftwaffenbasis außerhalb der Hauptstadt. Dort wurde er am Samstagmorgen befreit.

Der Angriff konzentrierte sich auf Ankara und Istanbul, doch die Putschisten hatten sich in vielen Militärstützpunkten in Anatolien und im Südwesten des Landes in Bewegung gesetzt. Noch am Montag waren Operationen im Gang, um die letzten Aufständischen zu finden – etwa in Yeşilköy in Istanbul, nahe des Atatürk-Flughafens, und auf dem auch von der Nato genutzten Stützpunkt Inçirlik.

"Feuert auf Polizei und Volk"

Gespräche der Putschisten auf Whatsapp tauchten mittlerweile auf. Der selbsternannte "Friedensrat" hat demnach wenig Skrupel gehabt. "Feuert auf Polizei und Volk", soll es in einer dieser Botschaften heißen.

Nach dem angeblichen Rädelsführer des Aufstands, dem früheren Befehlshaber der Luftstreitkäfte Akin Öztürk, wurde am Montag auch der Kommandant der Zweiten Armee, Adem Huduti, verhaftet. Die Verschwörer sollen bis in den engeren Kreis um Staatschef Tayyip Erdoğan reichen. So wurde auch der Militärberater des Präsidenten festgenommen. Ali Yazici wollte die Koordinaten des Jets und der Sicherheitsleute haben, mit denen Erdoğan zu einem Kurzurlaub nach Marmaris ans Mittelmeer geflogen war. Als Erdoğan in der Putschnacht nach Istanbul in Richtung Flughafen Atatürk startete, wurde sein Jet von zwei Kampfmaschinen der Armee begleitet. Zwei andere Maschinen der Putschisten tauchten aber ebenfalls in der Luft auf. Sie sollen das Flugzeug des Präsidenten bereits in ihr Zielradar genommen haben, so wurde verbreitet. Weshalb die Putschisten dann doch nicht schossen, ist unklar.

Gülen und die Armee

Das nährt die Komplotttheorie, wonach der Putsch nur inszeniert war, um Erdoğan freie Hand für Säuberungen im Staat zu geben. Die Welle der Festnahmen und Entlassungen traf am Montag auch die türkische Polizei, die sich bisher als Bastion im Kampf gegen die Putschisten erwiesen hatte. Sie galt in früheren Jahren als Instrument der Gülen-Bewegung, wurde aber nach den Korruptionsermittlungen gegen die Regierung 2014 schon einmal "gesäubert".

Dass der in den USA lebende türkische Prediger und ehemalige Verbündete Erdoğans mit seinen Gefolgsleuten auch Eingang in die Armee gefunden haben soll, hinterlässt viele in der Türkei skeptisch. Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in Ankara zufolge wuchs angeblich aber schon seit den 1970er-Jahren ein solches Netzwerk in der Armee, die sich doch als größte Verteidigerin der säkularen Ordnung in der Türkei verstand. Noch am Dienstag vergangener Woche ordnete ein Staatsanwalt in Izmir die Verhaftung von 18 hohen Militärs wegen angeblicher Mitgliedschaft im Gülen-Netzwerk an. Die Putschisten, die angeblich erst im August losschlagen wollten, könnten unter Druck gekommen sein. Vorzeitig und nicht ausreichend vorbereitet hätten sie am Freitagabend dann den Coup gestartet. Das ist die Version, die nun viele Beobachter in der Türkei für plausibel halten. (Markus Bernath aus Istanbul, 18.7.2016)