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US-Staatssekretär Thomas A. Shannon: "Die Türkei hat gerade sehr traumatische Ereignisse durchlebt."

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Erdoğan-Anhänger hängen eine Puppe von Fetullah Gülen am Taksim-Platz in Istanbul. Erdoğan forderte ach dem gescheiterten Putschversuch öffentlich die Auslieferung des Predigers aus den USA.

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Seit den Syrien-, Libyen- und Iran-Gesprächen gehen US-Spitzendiplomaten in Wien aus und ein. Diese Woche war Thomas A. Shannon, Staatssekretär im US-Außenministerium und damit einer der höchsten Diplomaten des Landes, an der Reihe und stattete der Bundeshauptstadt wegen des einjährigen Jubiläums des Atomabkommens mit dem Iran einen Besuch ab. Im Interview mit dem STANDARD sprach er über die Entwicklungen in der Türkei. Putschversuche, so Shannon, erschüttern Staaten in ihrem Kern, es sei nun nicht der Zeitpunkt für Drohungen, sondern für Solidarität. Auf die Türkei komme ein Test für die Demokratie und die Institutionen zu.

STANDARD: Das Jubiläum des Iran-Deals Mitte Juli wurde von den Ereignissen in der Türkei überschattet. Teile des Militärs versuchten die Regierung zu stürzen, was folgte war eine – wie Präsident Erdogan es nannte – "Säuberung" des Staates. Tausende Menschen wurden entlassen und verhaftet. Betrachtet man die Ereignisse der vergangenen 72 Stunden, kann dann die Türkei überhaupt noch ein verlässlicher Partner für die USA und die Nato sein?

Shannon: Die kurze Antwort ist: ja. Die lange Antwort ist, dass die Türkei ein wichtiger strategischer Partner ist, ein Nato-Mitglied, ein wichtiger Partner in Syrien und im Kampf gegen den "Islamischen Staat". Wir werden alles tun, was in unserer Macht steht, um die Beziehung zu schützen und mit der Türkei zusammenzuarbeiten. Es ist offensichtlich, dass die Ereignisse in Zusammenhang mit dem Putschversuch sehr verstörend sind. Der Putschversuch selbst war eine furchtbare Sache. Wir haben darauf unmittelbar reagiert, wir haben unsere Unterstützung für die demokratisch gewählte Regierung der Türkei klargemacht. Es ist unsere Hoffnung, der Türkei zu helfen, die Hintergründe des Putschversuchs herauszufinden und entsprechend zu reagieren.

STANDARD: Den Putschversuch haben die USA schnell verurteilt. Jetzt sehen wir aber, wie Soldaten, Polizisten, Richter und Staatsanwälte entlassen oder verhaftet werden. Kann man angesichts dieser Entwicklungen die Türkei überhaupt noch als Demokratie bezeichnen?

Shannon: Die Türkei hat gerade sehr traumatische Ereignisse durchlebt. Putschversuche erschüttern Staaten in ihrem Kern. Das wird nun ein Test für die türkische Demokratie und die türkischen Institutionen. Man wird beobachten, wie die türkische Regierung und die türkische Gesellschaft darauf reagieren werden. Wie die USA, die EU und die Nato angemerkt haben, ist es unsere Hoffnung, dass die Türkei das nun nutzt, um die demokratischen Institutionen und verfassungsgemäße Prozesse zu stärken. Wir hoffen, dass die Türkei, während sie versucht, die Hintergründe des Putschversuchs zu klären, das in einer Art macht, die persönliche Rechte und Freiheiten stärkt. Die USA und Europa haben ihre Besorgnis diesbezüglich ausgedrückt, und es ist unsere Hoffnung, dass die Regierung in der Türkei diese Bedenken versteht.

STANDARD: Präsident Erdoğan hat öffentlich die Auslieferung des Predigers Gülen gefordert und gemeint, dass jemand, der Herrn Gülen unterstützt, kein Freund der Türkei sein kann. Sind die USA bereit, die guten Beziehungen zur Türkei für Gülen aufs Spiel zu setzen?

Shannon: Wir haben ein Auslieferungsabkommen mit der Türkei. Außenminister Kerry hat klargemacht, dass wir einen Auslieferungsantrag in Betracht ziehen, sollte die türkische Regierung einen stellen. Wir warten und schauen, ob sie einen Antrag stellen und welche Beweise sie dafür vorlegen können. Das wäre aber keine politische Entscheidung, sondern ist durch unseren Auslieferungsvertrag vorgegeben, und die Entscheidung würde durch US-Gerichte gefällt werden.

STANDARD: Herr Erdoğan sieht es aber als eine politische Entscheidung an.

Shannon: Das ist nett, aber der Prozess ist nicht politisch. Der Prozess ist an unsere Verträge, US-Gesetze und Entscheidungen von US-Gerichten gebunden.

STANDARD: Führende AKP-Mitglieder, darunter der türkische Arbeitsminister, haben die USA beschuldigt, eine Rolle im Putschversuch gespielt zu haben. Haben sie recht?

Shannon: Sie liegen falsch. Außenminister Kerry hat klargemacht, dass solche Anschuldigungen schädlich für die Beziehungen sind, abgesehen davon sind sie unwahr.

STANDARD: Was muss eigentlich passieren, dass ein Mitgliedsstaat aus der Nato geworfen oder zumindest suspendiert wird? Glauben Sie, es besteht die Möglichkeit, dass die Türkei aus der Nato ausgeschlossen oder suspendiert wird, sollten sich die Entwicklungen verschlimmern?

Shannon: Das ist nicht der Zeitpunkt für Drohungen, es ist der Zeitpunkt für Solidarität. Es ist der Zeitpunkt für andere demokratische Staaten, ihre Bereitschaft zu zeigen, der Türkei dabei zu helfen, durch diese sehr schwierige Phase zu kommen und die türkische Demokratie und die demokratischen Institutionen in der Türkei zu stärken. Das ist die Botschaft, die aus Washington und Brüssel kommt. (Stefan Binder, 19.7.2016)