Nach den unangemeldeten Demonstrationen von Erdoğan-Anhängern in Wien herrscht Unbehagen in der Politik: Kanzler Kern sucht jetzt den Dialog mit muslimischen Vereinen.

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Wien – Ein Verein, der sich Türkische Kulturgemeinde Österreich nennt, ruft im Internet dazu auf, bei Demonstrationen "bitte keine türkischen Fahnen und keine türkischen Kampfparolen in Österreich" zu verwenden. Mit türkischen Fahnen auf der Straße würden "Vorurteile gegenüber allen Menschen aus der Türkei in Österreich vergrößert und das Zusammenleben erschwert". Insbesondere Kampfparolen wie "Sag es, und wir töten, sag es, und wir sterben!", wie sie am vergangenen Wochenende bei der Unterstützungsdemonstration für Erdoğan in Wien zu hören waren, würden für "Unmut, Angst und Antipathie" bei der österreichischen Bevölkerung sorgen. "Solche Demonstrationen schaden mehr, als sie nützen", heißt es.

Diese Einstellung dürften in der türkischen Community in Österreich, die von Erdoğan-Anhängern geprägt ist, nicht alle teilen. Die Türkische Kulturgemeinde hat kaum Rückhalt und ist ein eher kleiner Verein, der als Erdoğan-kritisch gilt.

Politik und Religion

Allerdings hat sich mittlerweile auch die Türkisch-Islamische Union (Atib), der größte religiöse Verband von Türken in Österreich, kritisch zu den umstrittenen Pro-Erdoğan-Demonstrationen am Wochenende geäußert. "Wir unterstützen überhaupt keine Bewegung, die Politik und Religion mischt", erklärte Atib-Vorstandsmitglied Metin Akyürek.

Nationalistische und parteipolitische Äußerungen hätten auf den Kundgebungen "nichts verloren", sagt auch Hakan Gördü, Vorsitzender des Erdoğan-nahen austro-türkischen Vereins UETD (Union Europäisch-Türkischer Demokraten), verteidigt die Demonstrationen grundsätzlich aber. "Wir sind nicht für Erdoğan auf die Straße gegangen, wir sind für die Demokratiebewegung des türkischen Volkes auf die Straße gegangen", sagte Gördü Dienstagabend in der "Zeit im Bild 2": "Wieso sind die Leute auf der Straße? Ich denke, ein Grund ist, dass sie nicht genug Vertreter in der österreichischen Politik haben."

UETD verbreitete über Facebook einen Aufruf der türkischen Behörden, verdächtige Äußerungen in sozialen Medien zu melden. Unterstützung für "terroristische Aktivitäten" und "kriminelle Elemente" sollten gemeldet werden, heißt es darin. Darunter sind E-Mail-Adressen der türkischen Polizei zu lesen.

Loyalität und Respekt

Die Erdoğan-Demonstrationen in Wien haben in der heimischen Politik erheblichen Unmut ausgelöst. Vertreter praktisch aller Parteien äußerten sich kritisch. "Wir alle, die aus einer demokratischen Kultur kommen, haben zu Recht Unbehagen, wenn politische und religiöse Motive vermischt werden, da haben wir unsere Lektionen gelernt", sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ). Ein intensiver Dialog mit der türkischen Community sei nötig. Er habe Vertreter der türkischen und muslimischen Organisationen zu einem ersten Gespräch eingeladen, die Resonanz sei sehr positiv, sagte Kern am Dienstag in Bregenz.

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) forderte "mehr Loyalität und Respekt gegenüber Österreich als Gastland. Mir fehlt jedes Verständnis dafür, wenn politische Konflikte aus dem Ausland zu uns importiert werden. Wir dulden in Österreich keine Parallelgesellschaften."

Justizminister Wolfgang Brandstetter (ÖVP) regt ein härteres Vorgehen gegen solche Kundgebungen an. "Man könnte bei unangemeldeten Versammlungen Einschränkungen überlegen. Das ist aber Sache des Innenministers", sagte er dem "Kurier". Es dürften nicht "Errungenschaften und Grundsätze unseres Rechtsstaates ausgenützt und mit Füßen getreten" werden, dabei gehe es um mehr als den formalen Verstoß einer nicht angemeldeten Kundgebung: "Was sich da abgespielt hat, ist indiskutabel im Sinne einer wehrhaften Demokratie."

Auch Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) sah die Demos "mehr als kritisch", heißt es aus seinem Büro. Noch heuer will man sich daher den gesetzlichen Rahmen "genau anschauen", ergo das geltende Versammlungsrecht überprüfen.

Ende der Beschwichtigungspolitik

Präsidentschaftskandidat Alexander Van der Bellen warf den Erdoğan-Sympathisanten vor, in Österreich jene Rechte in Anspruch zu nehmen, die ihr Idol in der Türkei mit Füßen trete. "Jene, die hier in Österreich das Demonstrationsrecht in Anspruch nehmen, müssen sehen, dass genau Rechte wie Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, unabhängige Justiz und Demonstrationsfreiheit in der Türkei von Präsident Erdoğan verwehrt werden."

Efgani Dönmez, ehemaliger Bundesrat der Grünen mit türkischen Wurzeln, fordert ein "Ende der Beschwichtigungspolitik": "Die Zeit ist längst überreif, die Spreu vom Weizen zu trennen." Dönmez selbst erinnert an seine Aussage aus dem Jahr 2013, als er zu in Wien demonstrierenden Erdoğan-Fans gemeint hatte: "5.000 One-Way-Tickets, und keiner würde denen nachweinen ..." Austrotürken, die Erdoğan befürworten, hätten in Österreich nichts zu suchen, bekräftigt Dönmez. (jub, völ, APA, 20.7.2016)