Wien – Über den Fußballplatz in der Wiener Leopoldstadt wuseln kleine Mädchen. Im Laufen reißen sie die Arme in die Luft und brüllen die Namen ihrer Mitspielerinnen über den grünen Rasen. Die Jüngsten am Platz sind sechs Jahre alt, die meisten sind aber gerade Teenager geworden. Während sie von Tor zu Tor fegen, wackeln ihre Haare – in blonde, braune oder schwarze Pferdezöpfe gebunden – hinterher. Mitten unter ihnen verteilt Maria Selo Pässe, jubelt, wenn eine ihrer Teamkolleginnen ein Tor schießt.

derStandard.at/Raoul Kopacka

Selo sticht aus der Menge heraus: Sie ist zwei Köpfe größer als die anderen, trägt ihre Haare kurz und ist mit 23 Jahren die Älteste in der Runde. Und eigentlich spielt sie in der Kampfmannschaft des Fußballklubs Altera Porta in der Zweiten Bundesliga der Frauen.

"Sie ist immer hier. Auch wenn es nur ein Training mit dem Nachwuchs ist", sagt Ines Polly, Vorsitzende des Vereins Altera Porta über ihren Neuzugang. Seit ein paar Wochen trainiert Selo mit dem Wiener Frauenfußballklub, davor spielte sie knapp ein halbes Jahr beim Team aus Altenmarkt; einem niederösterreichischen Ort mit rund 2200 Einwohnern, der 215 Flüchtlinge beherbergt. Eine von ihnen war Selo.

Schwierige Lage für Frauen

Wenn die junge Syrerin darüber spricht, wie sie nach Österreich gekommen ist, erzählt sie ihre Geschichte nüchtern und mit wenigen Emotionen, sie fasst sich kurz; auch wenn es um ihre Heimat Damaskus geht. Der Krieg, das sei etwas "anderes", etwas, das alles auf den Kopf stellt. Selo besuchte die Schule, wollte ein Studium beginnen.

Erst seit einem halben Jahr spielt Maria Selo Fußball. In ihrer Heimatstadt Damaskus durfte sie als Frau keine Bälle treten.

Doch dann kam es anders: "Im Krieg geht das nicht." Stattdessen nahm sie einen Bürojob an, verdiente eigenes Geld. Trotzdem: "Es gibt keine Sicherheit, für niemanden." Auch vor dem Krieg war die Situation Selos nicht einfach. Als Frau und noch dazu als Kurdin, Angehörige der größten ethnischen Minderheit des Landes.

"Mädchen dürfen das nicht"

"Ohne Hijab darfst du als Frau nicht raus, allein darfst du sowieso nicht auf die Straße gehen", erzählt sie. Eine Ausbildung zu machen, lernen oder einem Job nachzugehen sei alles sehr schwierig für Frauen. "Es ist schlimm, wenn dir jeder sagt: ‚Du bist ein Mädchen, du darfst das alles nicht‘." Eines Tages packte Selo ihre Sachen und ging los. Zu Fuß durchquerte sie die Türkei, Bulgarien, Serbien und Ungarn.

Fast 3000 Kilometer liegen zwischen Damaskus und Wien. Die Strecke bestritt sie allein, vor knapp zwei Jahren erreichte sie Österreich. Nach acht Monaten in Traiskirchen kam Selo nach Altenmarkt. Dort sah sie das erste Mal Frauen Fußball spielen. "Ich habe es erst nicht glauben können. Es ist für mich noch immer unvorstellbar", sagt Selo: "Hätte mir jemand in Syrien gesagt, dass Frauen Fußball spielen – ich hätte es nicht geglaubt."

Liebe zum Fußball

Wenn sie vom Fußball spricht, werden ihre Augen groß, und sie lächelt. "In Damaskus habe ich auf der Playstation Fifa gespielt, habe die Spiele im Fernsehen gesehen, aber als Frau war es mir verboten selbst zu spielen", sagt der Barcelona-Fan. Lieblingsspieler? "Lionel Messi", sagt sie mit einem Strahlen im Gesicht: "Er ist der Beste."

Die Zweitligistin Maria Selo kann sich in Österreich einen Job als Trainerin vorstellen.

Wie ihr Idol ist auch Selo Stürmerin. "Tore schießen, das mag ich." Für Altenmarkt schoss sie ihr erstes Tor in einem Liga-Spiel, zwei weitere folgten bei dem niederösterreichischen Verein. Das Gefühl? "Unbeschreiblich". Am Dienstag spielte sie mit ihrem neuen Team erstmals im Ernst-Happel-Stadion gegen die Frauen des Wiener Sportklubs.

Trainerin als Jobwunsch

Um dieses Gefühl weiterzugeben, gab Selo in Altenmarkt auch die Trainerin für die U-10-Mannschaft. Ein Job, den sie sich auch in Zukunft vorstellen kann. "Ich bin eine kleine Spielerin. Nicht wie die anderen, die seit ihrer Kindheit trainieren. Ich muss mehr tun, um das aufzuholen."

Unterstützung bekommt Selo dabei von ihrer Familie. Ihre Geschwister folgten ihr vor einem Jahr nach Österreich. Heute lebt Selo, die in Österreich Asyl bekommen hat, mit ihrem noch minderjährigen Bruder in einer kleinen Wohnung in Wien. Mit ihm war sie auch zum ersten Mal im Stadion. Österreich gegen Holland: "Es war toll, auch wenn Österreich verloren hat." Die Eltern sind in Syrien geblieben. Kontakt gibt es; dass Selo ihren Traum leben kann, freut sie. "Sie sind sehr stolz auf mich", sagt Selo. (Oona Kroisleitner, Raoul Kopacka, 20.7.2016)