
Blanke Nerven in Ankara: Ein Polizist mit Waffe bedroht eine Passantin vor einem Gerichtsgebäude.
Im Verhältnis der EU zur Türkei in Flüchtlingsfragen hat sich nach dem niedergeschlagenen Putsch offenbar nichts geändert: Hauptsächlich hofft man, dass der im März abgeschlossene Flüchtlingspakt weiter hält.
"Wir haben eine ganze Menge in die Eindämmung der Migrationswelle investiert", sagte EU-Nachbarschafts- und Erweiterungskommissar Johannes Hahn am Dienstag im außenpolitischen Ausschuss des EU-Parlaments. Eine wiedereinsetzende Fluchtbewegung aus der Türkei in die EU – etwa von Menschen, die vor der nach dem Putschversuch rollenden Repressionswelle fliehen – wäre "fatal", meinte er.
In Athen rechnete der griechische Migrationsminister Ioannis Mouzalas zu diesem Zeitpunkt bereits mit einer "verschärften Flüchtlingskrise" infolge des türkischen Putschversuchs. Panik wolle er keine schüren, doch es gelte "auf alle Eventualitäten vorbereitet zu sein", sagte er.
Angst um erfolgreichen Deal
Der Deal zwischen der Türkei und der EU sieht vor, dass die Türkei das Übersetzen von Flüchtlingen und Migranten auf die griechischen Inseln unterbindet. Damit waren bis dato ausschließlich die über vier Millionen Flüchtlinge aus Syrien, dem Irak und Afghanistan gemeint, die derzeit in der Türkei leben. Ihre Weiterflucht wurde großteils gestoppt: Zurzeit kommen auf den griechischen Inseln mehrere Dutzend Menschen pro Tag an, im Februar waren es noch bis zu 2.000.
Hinweise auf ein Platzen des Flüchtlingsdeals gibt es nach dem Putschversuch bis dato keine. Dafür verstärken die Massenverhaftungen von Beamten, Polizisten, Gerichtspersonal sowie die angekündigte Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei die Kritik an dem Abkommen.
Monatelang "schöngeredet"
Monatelang habe sich die EU die Menschenrechtslage in der Türkei "schöngeredet", sagt Karl Kopp von der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl Deutschland dem STANDARD: "Das ist jetzt das Ergebnis." Sollte die Repression länger anhalten, würden wieder vermehrt Türken in die EU kommen: "So produziert Erdoğan neue Flüchtlinge."
Nun wäre eine solche Entwicklung für Länder wie Österreich und Deutschland nicht neu: In den 1990er-Jahren, als türkische Sicherheitskräfte in den Kurdengebieten einen zerstörerischen Kampf führten, flohen von dort tausende Menschen.
Wegen der vorhergegangenen Arbeitsmigration verfügten viele von ihnen in Österreich oder Deutschland über verwandtschaftliche Anknüpfungspunkte. Von den 127.937 Asylantragstellern 1995 in Deutschland kamen 19,9 Prozent – also rund ein Fünftel – aus der Türkei. Noch 2009 stellten die Türken in Deutschland das drittstärkste Asylantragsland dar. Die allermeisten von ihnen waren Kurden.
Anerkennungsrate unter zehn Prozent
In Österreich befanden sich Türken, meist kurdischer Zugehörigkeit, bei den Asylanträgen von 1992 bis 2007 unter den Top-fünf-Staaten. Die Anerkennungsrate lag immer unter zehn Prozent.
Keinen nennenswerten Niederschlag auf die österreichischen Asylstatistiken wiederum hatte der letzte gelungene Putsch in der Türkei 1980. Nur 124 von 9.259 Asylanträgen wurden in diesem Jahr von Türken gestellt. 1982, als infolge der Polenkrise 34.557 Asylanträge eingebracht wurden, stammten überhaupt nur 35 von türkischen Staatsbürgern.
Keine Asylanträge mehr
Viele der damals vor der Militärjunta Fliehenden erhielten auf anderen Wegen in Österreich Aufenthaltsrecht. Diese "Lehrer, Gewerkschafter, Kurden, Verwaltungsvertreter" hätten die Grundlage für das "türkische Exil" in Mitteleuropa gelegt, sagt die grüne Menschenrechtssprecherin Alev Korun.
Heute hätten vergleichbare Personen nur wenig Chancen auf ein Visum. "Und sollte die Asyl-Notverordnung beschlossen werden, wird einem Istanbuler Richter der Asylantrag ebenso verweigert werden wie einem Flüchtling aus Aleppo", so Korun. (Irene Brickner, 20.7.2016)