Präsident Tayyip Erdoğan während einer Sitzung des Nationalen Sicherheitsrats, der am Mittwoch erstmals seit dem Putschversuch im Präsidentenpalast zusammenkam.

Die Stimme am anderen Ende klingt gehetzt. "Tut mir leid, aber ich kann nicht mit Ihnen sprechen", sagt sie zunächst. "Wir haben das so unter den Kollegen ausgemacht. Es ist nicht sicher für uns, mit der Presse zu reden."

Tag fünf nach dem Putsch, Tag fünf nach Beginn dessen, was viele in der Türkei schon den Gegenputsch nennen. Die Hochschulbehörde im Land hat ein Ausreiseverbot für alle Lehrkräfte an den Universitäten verhängt. Darüber reden ist offenbar schon gefährlich, finden die Professoren.

Am härtesten trifft es die Akademiker an den staatlichen Universitäten. Sie dürfen nicht einmal ihre Stadt verlassen. Die anderen an den privaten Hochschulen im Land können noch zum Flughafen und ausreisen. Es darf nur nichts Berufliches sein, kein Vortrag im Ausland oder gar ein Sabbatical, eine Auszeit vom Job. Der Staat sucht nach den Hinterleuten des Putsches, den Planern, den heimlichen Unterstützern. Niemand soll flüchten.

Am Nachmittag legt die Polizei Süleyman Büyükberber die Handschellen an, dem Rektor der Gazi-Universität in Ankara. Die Beamten nehmen ihn im Garten der Universität fest.

Säuberung im großen Stil

Gazi ist ein Symbol der säkularen Türkei, die Universität, die Kemal Atatürk 1926 kurz nach der Ausrufung der Republik gründen ließ. Dass sie heute die angeblichen Putschisten beherbergen soll, die Islamisten des Predigers Fethullah Gülen, allen voran in der Person ihres Rektors, ist nicht das Erste, was man denken würde. Doch Staat und Regierung machen schon seit Jahresbeginn Druck auf die Hochschulen. Im Jänner hatten mehr als 1.000 Hochschullehrer die Petition "Akademiker für den Frieden" unterschrieben. Sie riefen zum Stopp der Armeeoperationen in den Kurdenstädten im Südosten auf. Der Staatschef nannte sie Verräter. Allen drohen Verfahren wegen Unterstützung des Terrorismus. Jetzt – so sieht es aus – wird gleich im großen Stil gesäubert. Drei weitere Rektoren werden am Mittwoch ebenfalls festgenommen.

Nurettin Çanikli, einer der stellvertretenden Regierungschefs, meldet sich zu Wort und versucht zu beruhigen. Alle Maßnahmen würden sich im Rahmen des Rechtsstaats bewegen, versichert er. Der Zähler dreht sich derweil nur weiter: Nach 6.000 suspendierten Soldaten, 8.000 Polizisten, 3.000 Richtern und Staatsanwälten, 20.000 Lehrern und 1.500 Dekanen bis zum Dienstag kommen wieder die Soldaten an die Reihe. In Istanbul werden knapp 1.000 von ihnen festgenommen, melden türkische Medien.

Adjutant gesteht angeblich

Einer von den Soldaten – und nicht der unwichtigste – soll zwischenzeitlich ein Geständnis abgelegt haben. Yarbay Levent Türkkan, ein Adjutant des Armeechefs, sagte angeblich den Satz, auf den alle warten: "Ich bin ein Mitglied der Parallelstruktur." So heißt das Netzwerk des Predigers Gülen im Jargon der türkischen Politik. Schon in der Schule haben sie ihn rekrutiert, soll der Adjutant gesagt haben – die Gülenisten, nicht die Armee.

Auch ein führender Mitarbeiter im Premiersamt wird am Mittwoch festgenommen. Schon jubeln die Regierungsanhänger. Der Maulwurf soll es sein, der Mann, der seit zwei Jahren unter dem Pseudonym Fuat Avni über geheime Pläne von Polizei und Regierungspartei plaudert und über die Präsidentenkinder Bilal und Sümeyye Erdoğan. Die Freude währt nicht lang. "Sie haben mich wieder gefasst", twittert Fuat Avni spöttisch. Er sei bei der Arbeit, er werde dieses Twitter-Konto gleich schließen, schreibt er.

Und während der nationale Sicherheitsrat in Ankara noch unter Vorsitz von Tayyip Erdoğan tagt, wird eine angebliche Anklageschrift publik, ein Papier der Staatsanwaltschaft in Inegöl, einer Provinzstadt in der Nähe von Bursa: Die Putschisten hätten bereits einen Prozess gegen den Staatspräsidenten und einige seiner früheren Minister vorbereitet. (Markus Bernath, 20.7.2016)