Pavel Černoch als "Hamlet".

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Bregenz – Arrigo Boito kennen Opernfreunde gemeinhin als Librettisten von Giuseppe Verdi. Mit dem Namen Franco Faccio konnten allerdings bis vor kurzem selbst die eingefleischtesten Kenner nur wenig anfangen. Wenn überhaupt, dann verbreiten die Geschichtsbücher seinen Ruhm als Dirigent: Unter anderem leitete Faccio die Uraufführung von Verdis Otello (1881) und die italienische Erstaufführung von Wagners Meistersingern von Nürnberg.

Boito seinerseits – der unter anderem für Otello das Textbuch lieferte – hatte fast zwanzig Jahre zuvor Verdi als jemanden angefeindet, der den "Altar der Kunst wie die Wand eines Freudenhauses beschmutzt" habe. Damals hatten Boito und Faccio gemeinsam für die italienische Befreiungsbewegung ebenso wie eine Erneuerung der Kunst gekämpft und sich ganz unnationalistisch wesentliche Impulse bei einer Paris-Reise sowie bei Wagner geholt.

Als Exempel ihrer Bestrebungen sollte Amleto dienen, der allerdings nach seiner Uraufführung 1865 in Genua keinen nachhaltigen Erfolg errang und nach einer einzigen Aufführung an der Mailänder Scala 1871 (wegen eines erkrankten Tenors) von der Bildfläche verschwand.

Kalkuliertes Risiko

Nun leisten sich ja die Bregenzer Festspiele einen Luxus, der erst eigentlich ihr Profil bildet, indem sie neben dem publikumsträchtigen Spiel auf dem See (und aus den Einnahmen daraus "querfinanziert") weitere, anspruchsvolle Programmschienen bieten, wobei nach einer festen Tradition die Premiere auf der Seebühne von einer neuen Produktion im Festspielhaus flankiert wird.

Diese Raritäten oder Wiederentdeckungen sind definitionsgemäß keine sichere Bank. Ihr kalkuliertes Risiko ist es aber auch, das sie so spannend macht. Und so ist in Bregenz – man muss dazusagen, nach einer Aufführung von 2014 in Albuquerque (New Mexico, USA) durch Anthony Barrese, der die Partitur auch herausgegeben hat – ein Werk ans Licht gekommen, das rundweg überzeugen konnte.

Hamlet als Oper

Es war schon von Faccio und Boito etwas verwegen, ausgerechnet Shakespeares Hamlet zu einer Oper umzuformen – und dann auch noch mit dem Anspruch, dem Vorbild möglichst umfassend gerecht zu werden. Das geschieht nicht zuletzt durch groteske oder ironische Züge, wenn der Text die Verwerflichkeit von König Claudio (Claudio Sgura) oder die Musik die "Verrücktheit" des Prinzen von Dänemark illustriert.

Wenn Hamlet davon fantasiert, den Mörder seines Vaters in die "Hölle" zu befördern, macht er dieses Wort zu einem melodischen Höhepunkt, der normalerweise dem "Himmel" vorbehalten wäre. Und das ganze Stück ist voll von solchen Volten und Finessen, die Partitur eine Fundgrube origineller Wendungen, eindrucksvoller Harmoniefolgen und lautmalerischer Wirkungen, die das Düstere der Szenerie stets pointiert servieren.

Schwereloses Orchester

Dieser Eindruck hatte in Bregenz sicherlich auch mit dem Dirigenten Paolo Carignani zu tun, der die Wiener Symphoniker in ein schwereloses, dabei aber auch sehr zupackendes italienisches Opernorchester verzauberte, und mit einem durch die Bank festspielwürdigen Ensemble, unter anderem mit Eduard Tsanga (Polonio), Iulia Maria Dan (Ofelia) und Dshamilja Kaiser (Gertrude), in dessen Mitte der höhensichere Pavel Černoch in der Titelpartie einen verletzlichen Charakter mit aggressiven Ausbrüchen zeichnete.

Sehr auf Nachvollziehbarkeit bedacht ist auch die Inszenierung von Olivier Tambosi. Während das Bühnenbild von Frank Philipp Schlößmann die minimalistische Ausstattung von Shakespeares Theater mit anderen Mitteln fortsetzt und zwischen monumentalen Kulissen, offenen Räumen und doppelten theatralen Böden vermittelt, ist die Personenführung konzentriert, entschleunigt und keineswegs von Originalitätssucht angekränkelt.

Originell ist die Oper selber dafür so reichlich, dass das, was da bescheiden als "österreichische Erstaufführung" bezeichnet wurde, dazu führen könnte, dass sich nun einige Bühnen als Nachahmer und Faccio-Wiederentdecker finden. (Daniel Ender, 21.7.2016)