Gegen Bettelnde wurde in Vorarlberg auch temporär rumänische Polizei eingesetzt.

Foto: Jutta Berger

Bregenz – Bettelnde Menschen auf Vorarlbergs Straßen sind ein junges Phänomen. Als die Not im Vorjahr unübersehbar wurde, reagierten die Städte Dornbirn, Bregenz, Bludenz und Feldkirch mit Bettelverboten. Provisorische Lager wurden geräumt, die bettelnden Menschen mit Verwaltungsstrafen eingedeckt.

Soziallandesrätin Katharina Wiesflecker (Grüne) wollte die "emotional aufgeladene Debatte versachlichen" und gab eine Studie über die Situation der bettelnden Notreisenden in Auftrag. Am Donnerstag präsentierte sie mit Studienverfasserin Erika Geser-Engleitner, Sozialforscherin an der Fachhochschule Vorarlberg, die Ergebnisse der empirischen Untersuchung.

Ziel der Studie war, einen Einblick in die Lebenswelten der Menschen zu bekommen und herauszufinden, wie viele Bettelnde sich tatsächlich in Vorarlberg aufhalten. Die zweite Frage beantwortete Geser-Engleitner mit rund 100 Menschen, die aktiv betteln und weiteren 100, die auf Kinder und Gepäck aufpassen.

Die Menschen stammen alle aus Ballungsgebieten in Rumänien, aus Ploiești, Brașov, Sibiu und Buzău. Sie bezeichnen sich selbst, sagt Geser-Engleitner, als "Zigeuner, Roma", eine zweite Gruppe definiert sich als "Rumänen und Roma". Sie kommen in Großfamilien, als Kleinfamilie, Paare. 19 Prozent sind alleine unterwegs. Es betteln mehr Frauen als Männer, der Anteil der Kinder liegt bei knapp neun Prozent.

Armut treibt die Menschen in den Westen

Die Menschen kämen wegen der großen Armut in ihrem Heimatland. Sie würden nicht von Organisationen zum Betteln gezwungen, sagt die Studienautorin. "Wir haben keinen einzigen Indikator für organisierte Kriminalität gefunden", betont die Soziologin.

In Interviews, durchgeführt von Romanes-Sprechenden, wurden die Menschen über ihre Biografie und die Motivation, nach Vorarlberg zu kommen, befragt. Die meisten (64 Prozent) sind Analphabeten, haben keinen Beruf gelernt. Die Hoffnung, in Vorarlberg Arbeit zu finden, nannten alle aus Hauptgrund für die Anreise.

"Praktisch alle" lebten vorher in Italien, sagt Geser-Engleitner, durch die große Zahl illegal lebender Migranten habe dort aber ein Verdrängungsprozess stattgefunden. Zudem gebe es in Italien keine .Jobs als Erntehelfer mehr.

Bettelnde haben in Vorarlberg ein Tageseinkommen von zehn bis 30 Euro, in guten Monaten könnten sie 100 Euro an Erspartem heim nach Rumänien schicken.

Wohnmisere in Rumänien und Vorarlberg

Das Argument, die hier Bettelnden hätten ohnehin Wohnung oder Häuser im Heimatland, kann Geser-Engleitner nicht bestätigen. 56 Prozent hätten ausschließlich eine Meldeadresse in Rumänien. Jene 44 Prozent, die über eine Mietwohnung oder ein Haus in Rumänien verfügen, müssten ständig um den Besitz bangen. Die Häuser stünden auf Grundstücken, die den Hausbesitzern nicht gehörten. Es drohe der Abriss. Durchschnittlich seien die Häuser zehn bis 20 Quadratmeter groß. In zwei Zimmern müssten ganze Großfamilien leben.

Auch die Wohnsituation in Vorarlberg ist prekär. Bettelnde schlafen im Sommer im Freien, vereinzelt werden Zimmer zu Wuchermieten angeboten. Geser-Engleitner spricht von 800 Euro Miete pro Monat, in diesen Zimmern lebten dann 20 bis 30 Menschen. Einige wenige leben bei engagierten Privatpersonen. Notschlafstellen werden nur in der kalten Jahreszeit zur Verfügung gestellt.

Im nächsten Winter wird man wieder zwei Notquartiere anbieten, kündigte Landesrätin Wiesflecker an. Sie ortet steigende Akzeptanz in den Gemeinden für die Menschen und einen Lernprozess bei der Polizei. Betteln als Geschäftsmodell wolle man aber nicht akzeptieren.

Keine temporäre Schule in Vorarlberg

Die Forderung von Initiativen nach temporären Schul- und Kindergartenplätzen fände aber keinen Konsens, sagt Wiesflecker. In die Schule sollten die Kinder in Rumänien gehen. Die beiden für die Arbeit mit Bettelnden angestellten Sozialarbeiterinnen sollen nun verstärkt über die Wichtigkeit des Schulbesuchs in Rumänien informieren. Man plane dort zudem ein Bildungsprojekt mit der Stiftung Concordia.

Die FPÖ reagierte prompt auf die Studie: Schwarz-Grün wolle Bettlern den Aufenthalt so angenehm wie möglich machen, kritisiert Klubobmann Daniel Allgäuer. Bei 200 bettelnden Notreisenden im Land herrsche Handlungsbedarf. Und zwar in Rumänien: "Wir sind mit Sicherheit nicht das Armenhaus für osteuropäische EU-Mitgliedstaaten." (Jutta Berger, 21.7.2016)