"Wer Interesse hat, sich in der türkischen Politik aktiv einzubringen, der kann jederzeit unser Land verlassen", sagte Außen- und Integrationsminster Sebastian Kurz am Donnerstag. Der Satz fiel im Zusammenhang mit den umstrittenen Demonstrationen der Türken in Österreich vom vergangenen Wochenende.

Die Ansage des Ministers erinnert sehr an eine Aussage von FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache vom Juni 2013, als in Österreich ebenfalls Pro-Erdoğan-Demos stattfanden. "Die Erdoğan-Fans, welche heute in Österreich für Erdoğan demonstriert haben, sollten rasch in die Türkei heim", empfahl Strache damals, und der seinerzeitige Integrationsstaatssekretär Kurz beschwichtigte: Man solle die Konflikte nicht nach Österreich tragen; versöhnlich legte er nach: "Nur das Verbindende bringt uns weiter, nicht das Trennende. Plump gesagt: In Österreich kommen die Leute durchs Reden z'samm'." Der damalige ÖVP-Generalsekretär Johannes Rauch fand noch deutlichere Worte und warf dem FPÖ-Chef "mangelndes Demokratieverständnis" vor, Straches Aussage fand er "entbehrlich und geschmacklos".

Der Ton ändert sich

Das war damals noch ein ganz anderer Ton in der ÖVP, denn auch die Situation war eine andere: Im Juni 2013 befand sich Österreich mitten im Nationalratswahlkampf. Wie in jedem Wahlkampf, seit in Österreich eine bedeutende Zahl eingebürgerter und stimmberechtigter Menschen mit Migrationshintergrund lebt, gingen die Parteien auch in den Migrantencommunitys auf Stimmenfang. Kurz und die ÖVP setzten dabei unter anderem auf den türkeistämmigen Kandidaten Hasan Vural, der Erdoğans AKP nahesteht und kein Hehl aus seiner Bewunderung für Erdoğan macht.

Wenige Tage nach der Nationalratswahl fuhr Vural zum AKP-Kongress nach Istanbul, um dort Erdoğan zu beklatschen. Der damalige Wiener ÖVP-Obmann Manfred Juraczka sah die Reise seines Parteikollegen entspannt: "Ich halte es für zulässig, dass Bürger mit Migrationshintergrund Kontakt zu politischen Parteien in ihren Herkunftsländern pflegen."

Die ÖVP ist nicht die einzige Partei, die in Wahlkampfzeiten ein entspanntes Verhältnis zu ihren Kandidaten aus den Migrantencommunitys pflegt und – wenn es gerade von nutzen ist – nicht lange nach der politischen Ausrichtung fragt. Um Stimmen für die SPÖ kämpfte 2013 unter anderen Resul Ekrem Gönültas, der der Millî-Görüş-Bewegung zugeordnet wird, die der deutsche Verfassungsschutz als islamistisch und antidemokratisch einstuft. Der Linzer SPÖ-Bürgermeister Klaus Luger kam Anfang 2016 unter Druck, weil er sich von seinen Kontakte zum türkischen Verein Avrasya, einer Vorfeldorganisation der antisemitischen, rassistischen Grauen Wölfe, nicht klar distanzierte.N

In einem Imagevideo des ÖVP-Kandidaten und Erdoğan-Anhängers Hasan Vural spielt der damalige Integrationsstaatssekretär eine wichtige Rolle.
utkan Film

Obwohl beide Großparteien wie auch ihre Vorfeldorganisationen immer wieder mithilfe von Kandidaten und Unterstützern um Stimmen der türkischen oder, wie die FPÖ, der serbischen Community werben, stehen sie in der Kommunikation mit der Mehrheitsbevölkerung selten zu ihren entsprechenden Aktivitäten.

Türken in der FPÖ

Als Ende September 2013, im Endspurt des Nationalratswahlkampfs, der damalige Bundeskanzler Faymann von FPÖ-Chef Strache im ORF-Duell mit türkischsprachigem Wahlkampfmaterial konfrontiert wurde, reagierte Faymann aufgeregt und ging in die Verteidigung. Damit verpasste der SPÖ-Chef die einmalige Chance, vor einem großen Publikum klarzustellen, das Bürger mit Migrationshintergrund sowohl als Politiker als auch als Wähler eine Selbstverständlichkeit sind. Denn was oft in den Hintergrund gerät, ist der Umstand, dass auch die FPÖ um Stimmen der Migranten kämpft – und zwar massiv in der serbischen Community, aber mittlerweile auch in der türkischen. So ging Hasan Sükün, ein langjähriges Mitglied der türkisch-islamischen Organisation Atib, 2015 für die Vorarlberger FPÖ in Lustenau ins Rennen.

Nach dem Wahlkampf vergessen die Parteien ihre migrantischen Kandidaten in der Regel schnell. Die angebliche Annäherung und die Integration in politische Entscheidungen geraten ins Hintertreffen. Selten ist die Wahlkampfrhetorik so verlogen wie bei den serbischen Folklore-Veranstaltungen und Moscheebesuchen der heimischen Politiker.

Anstelle von Instant-Kandidaten, zu denen ihre Parteien nach dem Wahlkampf nicht stehen können und wollen, brauchen wir eine ehrliches Zugehen auf alle Bürger mit Migrationshintergrund – mit und ohne Wahlrecht, versteht sich. Und wir brauchen eine klare Ansage, dass es Teilhabe und politisches Engagement der Migranten braucht und dieses willkommen ist.

Am dringendsten aber brauchen wir eine themengetriebene statt der jetzigen anlassbezogenen Integrationspolitik. Migranten dürfen nicht nur williges Stimmvieh und passive Verschubmasse bleiben. Wir brauchen eine Integrationspolitik, die sich um Bildungsreformen kümmert und den sozialen Aufstieg der zweiten Generation erleichtert. Der ethnische und religiöse Hintergrund sollte dabei zweitrangig sein und die Mitgliedschaft in einem einflussreichen Verein aus dem Herkunftsland keine Voraussetzung. (Olivera Stajić, 22.7.2016)