Hannahs Fall: Friederike Gösweiner findet in ihrem Debüt eine leise und unaufgeregte Sprache für existenzielle Probleme und den seelischen Sturz in die Tiefe.

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Friederike Gösweiner, "Traurige Freiheit". € 18,00 / 144 Seiten. Literaturverlag Droschl, Graz 2016

cover: droschl

Dann hat es wohl keinen Sinn mehr, sagte Hannah." Dieser erste Satz in Friederike Gösweiners Debütroman Traurige Freiheit bringt Hannahs pessimistische Befindlichkeit auf den Punkt. Sie sieht sich in einer ausweglosen Sackgasse. Wieder einmal diskutiert die Zeithistorikerin mit ihrem Freund Jakob, der als Assistenzarzt in einem Krankenhaus arbeitet. Sie hat ein abgeschlossenes Studium hinter sich, aber noch keinen Job in Aussicht, sondern nur fünfzig Absagen auf Bewerbungen.

Eigentlich könnte sie mit Jakob glücklich sein und in der gemeinsamen Wohnung an eine Familiengründung denken. Aber sie möchte nicht finanziell abhängig von ihm sein und sieht in der Provinzstadt keine berufliche Zukunft als Journalistin. Nun hat sie ein Angebot für ein achtwöchiges Volontariat bei einer Berliner Zeitung bekommen und will endlich in die Großstadt.

Er will seinen mühsamen Karriereweg fortsetzen, kann sich weder vorstellen mitzugehen noch eine Fernbeziehung zu führen und ahnt, dass sie in Berlin bleiben möchte. Und weil es keinen Sinn mehr hat, beendet Hannah die Beziehung und geht nach Berlin, wo sie vorübergehend in die kleine Wohnung ihrer Freundin Miriam einziehen kann, da diese als Korrespondentin eines Senders nach Moskau übersiedelt ist.

Friederike Gösweiner erzählt davon, wie Hannah nach Ende des Praktikums in eine Lebenskrise schlittert, ihr Selbstwertgefühl verliert und immer mehr von Selbstzweifeln erfasst wird. Eigentlich hat sie alles richtig gemacht, ein Studium absolviert, Mobilität am Arbeitsmarkt bewiesen, aber leider sind ihre Qualifikationen nicht gefragt, entspricht ihre Selbstoptimierungsstrategie nicht den neoliberalen Arbeitsbedingungen. Auch nach dem Assessment-Test bei der größten Tageszeitung Berlins erhält Hannah wieder einen Absagebrief, der ihr bestätigt, dass sie nicht zu den dreien gehört, die am besten "auf das Anforderungsprofil passen".

Gösweiner, geboren 1980, hat Germanistik und Politikwissenschaft in Innsbruck studiert und mit einer Dissertation über "Einsamkeit in der jungen deutschsprachigen Literatur der Gegenwart" promoviert. Traurige Freiheit ist eine eindrucksvolle Fallstudie über die prekären Lebensverhältnisse ihrer Generation, die nicht selten paradoxerweise als "frei" bezeichnet werden.

Schon im Romanmotto von Zygmunt Baumann heißt es über das Individuum von heute, dass es für die eigene Misere keinen anderen Ausweg gibt als "trying harder and harder still". Die soziologischen und literaturwissenschaftlichen Erkenntnisse macht Gösweiner literarisch produktiv und findet eine leise und unaufgeregte Sprache für Hannahs Fall in die Tiefe, den sie bildlich in einem Plakat des französischen Fotografen Denis Darzacq aus der Serie La chute aufruft.

Sich als "Nichts" fühlen

Literatur kann im besten Fall wie in diesem Buch am Einzelschicksal erfahrbar machen, was es bedeutet, wenn man mit 30 Jahren wieder als Kellnerin in einem Szenecafé arbeitet wie schon als Studentin und sich aus Geldmangel überlegen muss, was man mittags isst, am gesellschaftlichen Leben gar nicht mehr teilnehmen kann und deshalb immer einsamer wird. Hannah wird physisch und psychisch krank, fühlt sich als "Nichts", leidet an Schlaflosigkeit, Angstzuständen, Atemlosigkeit.

Über zu wenig Kommunikation kann sich Hannah nicht beklagen. Aber es ist eben doch nicht gleichgültig, ob man SMS und E-Mails schreibt und den 30. Geburtstag in Berlin "live" allein feiert. Auf der virtuellen Ebene bleiben Hannah und Jakob das ganze Jahr über in Kontakt und bekennen einander ihre Sehnsucht, bis sie dann doch schriftlich erfährt, dass er Vater wird. Ebenfalls nur virtuell, aber mit Ausblick auf eine reale Fortsetzung der Freundschaft kommuniziert Hannah mit ihrer Freundin Miriam, deren berufliche und private Situation ebenfalls als prekär bezeichnet werden kann.

Auch die Begegnung mit dem erfolgreichen Journalisten Martin Stein bietet keine Perspektive, eine berufliche Hilfestellung für sie wird seinerseits gar nicht erwogen. Und trotz gegenseitiger Zuneigung endet die Beziehung für Hannah katastrophal.

Hannah weiß, dass sie sich selber entschieden hat, dass keine Schuldigen zu benennen sind. Sie kann sich nicht als Opfer fühlen und hat kein Selbstmitleid. Als sie jünger war, haben die Erwachsenen gesagt: "Man könnte alles werden, alles sein, alles sei möglich, das sei die totale Freiheit." Auch Hannah hat Freunde und KollegInnen, die Karriere machen, Geld haben und dafür oft zu wenig Zeit für das Privatleben wie Jakob. "Alles war möglich, immer wieder hatte sie das gehört. Aber nie hatte sie daran gedacht, dass das auch das Scheitern implizierte. Niemand dachte daran, dass auch das Scheitern eine Möglichkeit war."

Friederike Gösweiner erzählt präzise und dennoch mit vielen Leerstellen aus der Perspektive ihrer Antiheldin, ohne sie zu kommentieren. Damit gelingt ihr das Kunststück, vieles offen zu lassen, auch das Ende. Der Roman Traurige Freiheit macht auf beeindruckende und berührende Weise klar, wie traurig Freiheit jenseits aller Sicherheiten sein kann und dass in der Generation der Dreißigjährigen Hannahs Fall kein Einzelfall ist. (Christa Gürtler, Album, 23.7.2016)