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Nach dem Freitagsgebet ließ sich der Präsident von seinen Anhängerinnen feiern.

Foto: Reuters/Kayhan Ozer/Presidential Palace

Ankara/Athen – "Er ist ein Killer", sagte ein griechischer Konzernchef im Privaten einmal bewundernd über Tayyip Erdoğan, den Präsidenten des großen Nachbarlands. In der Putschnacht vom 15. Juli zeigte sich Erdoğans Willensstärke. Mit einiger Kaltblütigkeit zog er die Türkei vom Rand eines vielleicht Wochen dauernden gewalttätigen Chaos und rettete dabei noch sich und seine Familie vor der möglichen Ermordung.

Die Erdoğans machten Urlaub in Marmaris an der türkischen Mittelmeerküste, als die Putschisten letzte Vorbereitungen trafen. Am vergangenen Samstag um drei Uhr am Morgen sollte die Regierung gestürzt und der Präsident gefangen oder gar umgebracht werden. Der türkische Geheimdienst MIT durchkreuzte den Zeitplan der Verschwörer. Hakan Fidans Mitarbeiter waren am frühen Freitagnachmittag auf verdächtige Bewegungen der Armee aufmerksam geworden. Doch als die Putschisten zuschlugen, war Tayyip Erdoğan ohne Verbindung zum wichtigsten Mann im türkischen Sicherheitsapparat, dem er vertraut.

Kriegsrat im Hotelzimmer

"Ich habe meinen Geheimdienstchef in jener Nacht angerufen, aber ich konnte ihn nicht erreichen", sagte Erdoğan in einem Interview mit Reuters in Ankara – seinem ersten nach der Verhängung des Ausnahmezustands. In der Putschnacht war Erdoğan zeitweise auf sich allein gestellt. Die kritischen Entscheidungen, so lässt sich aus den nach und nach bekannt werdenden Details rekonstruieren, traf der Staatschef in einem Hotelzimmer im Kreis von Familie und Freunden.

Fluchtwege wurden überlegt und wieder verworfen. Dass der Präsident ein Ziel der Putschisten sein würde, war schnell klar. Erdoğan fragte Serkan Yazici, den Eigentümer des Luxushotels Grand Yazici in Marmaris, wo die Familie ihren Urlaub verbrachte, nach möglichen Routen auf dem Wasser. Erdoğans Jet stand auf dem Flughafen von Dalaman, knapp 90 Straßenkilometer entfernt. Eine Marinebasis lag auf dem Weg dahin. Das machte eine Autofahrt zu riskant. Erdoğan schloss sie aus.

"Ich sagte, es gibt eine griechische Insel nahe Marmaris. Bis zu diesem Punkt war er sehr ruhig", erzählte Yazici, der Hotelbesitzer, dem Boulevardblatt "Posta". "Aber als er von der griechischen Insel erfuhr, wurde er wütend. 'Was habe ich dort verloren?', sagte er, 'Ich frage dich nach möglichen Strecken nach Istanbul'."

Riskanter Flug

Am Ende entscheidet sich der Präsident für den Hubschrauber – auch das ein riskantes Unterfangen. Erdoğans Frau Emine, die ältere Tochter Esra, deren Schwiegersohn Berat Albayrak und Erdoğans drei Enkelkinder fliegen mit nach Dalaman und dann weiter im Jet nach Istanbul. Albayrak – er ist auch der Energieminister – hatte zuvor einen Anruf erhalten, so erzählte Hotelbesitzer Yazici. In Istanbul steigen Zivilisten mit türkischen Fahnen auf die Panzer. Erdoğans Aufruf über Facetime zum Widerstand funktioniert offenbar. Auch diese Information erhielt Erdoğan offenbar nicht vom Geheimdienst.

Erdoğan überraschte diese Woche bereits mit der Eröffnung, sein Schwager, ein Geschäftsmann mit Verbindungen, habe ihn gegen 20 Uhr am Freitag über den bevorstehenden Putsch unterrichtet. Dass Erdoğan gar keinen Kontakt zum Geheimdienstchef hatte, machte er jetzt erst bekannt. Als mögliche Erklärung gilt derzeit, dass Hakan Fidan von der Armeeführung hingehalten wurde. Von 16 Uhr an stand er mit ihr an jenem Freitag in Kontakt. Es war nicht das erste Mal, dass es Hinweise auf einen Putsch gab. Fidan wollte keine Panik. (Markus Bernath, 22.7.2016)