Da steht er, verwittert wie seine Gitarre, eine Autorität der Stille ebenso wie im Lärm der besten Rockmusik des Planeten. Neil Young bereicherte auf der Burg Clam viele tausende Leben.

Christian Fischer

Wien – Selbst wenn er das Lied vom Hurricane nicht singt, entfacht er einen solchen jedes Mal. Am Samstag musste "Love To Burn" herhalten, ein Manifest seines daran nicht armen Albums "Ragged Glory". Das erweiterte er auf geschätzte 20 Minuten Länge – wer dabei auf die Uhr schaute, dem war nicht mehr zu helfen – und überwand dabei das Gesetz, nach dem Zerdehnung und Verdichtung nicht miteinander können. Neil Young schaffte das. "Love To Burn", das war Ekstase, Hypnose, ein Sturm – all der Scheiß, dem man im Alltag lieber aus dem Weg geht, während man ihn in einem Konzert glückselig empfängt.

Am Samstag gastierte Neil Young mit seiner aktuellen Live-Band Promise Of The Real auf der Burg Clam in Oberösterreich. Entgegen der Regenvorhersagungen hielt der Himmel (fast) bis zum Schluss, ein lauer Sommerabend in prächtigem Ambiente, bessere Bedingungen kann es für den Abschluss einer Tournee kaum geben und er, Neil Young, der Mächtige, gab und gab und gab.

Mann in Schwarz

Gleichzeitig führte er vor, dass seine Kraft nicht allein auf Verstärkern und Lautstärke beruht, obwohl diese Zutaten nie schaden. Er eröffnete den Abend mit akustischen Liedern – "After The Goldrush", "Heart Of Gold", "The Needle And The Damage Done" – deren reduzierte Schönheit nicht weniger überzeugte als das in den Irrsinn getriebene "Love To Burn".

Da stand er allein – schwarze Hose, schwarzes T-Shirt, schwarzer Hut – und klampfte, blies die Mundharmonika und durchmaß mit seinem Blick das Gelände. In aller Ruhe wechselte er die Instrumente, setzte sich an die Orgel und das Publikum mit "Mother Earth (Natural Anthem)" einem ersten Kampf gegen die Tränen aus. Dann rüber zum Klavier, gemach, vom Hudeln kommen die Kinder.

Gegen das Dumme und Böse

Die Bühne gehörte ihm längst, eingenommen war sie von der Autorität seiner bloßen Erscheinung. Die restliche Überzeugung kam von seiner Kunst, führte vor Augen, welche Aktualität viele seiner Songs besitzen, noch 30, 40 Jahre nach ihrer Entstehung. Als er im gleichnamigen Lied über seinen "Revolution Blues" sang, diesen Zustand permanenter Auflehnung gegen das Dumme und Böse auf der Welt, war es, als würde man mit Neil Young heute Nachrichten schauen. Ja, Neil ist ein Weltverbesserer, mit 70 immer noch, und wir haben ihn bitter notwendig.

Solange Typen wie er belächelt und die Weltverschlechterer gewählt und bejubelt werden, brauchen wir ihn umso dringender. Seine Kunst führt vor Augen, zu was der Mensch fähig ist, wenn er nicht von Gier und Rücksichtslosigkeit getrieben ist. Young wird uns die Welt nicht retten, doch er zeigt, dass wir jeden Tag die Wahl haben, uns für das Gute oder das Böse zu entscheiden. Zu ihm zu kommen war eine gute Entscheidung, an die zehntausend Besucher konnten das bestätigen. Die paar, die frühzeitig am Gras horchten, dürften zuvor von demselben zu viel inhaliert oder die regionale Braukunst unterschätzt haben, doch das waren wenige.

Respekt vorm Alten

Youngs Band, die kaum halb so alt wie er ist, tat ihm merklich gut, auch wenn man den Respekt zu verspüren meinte, den sie in manchen Momenten vor ihm hatten, wenn er wie ein Tanzbär seine Gitarre schindete und in zerfurchten, alten Songs wie "Powderfinger" die eigene Jugend memorierte.

Doch das war später. Früher am Abend durchforstete er seinen Katalog nach entspannten Countryrocksongs und wurde auf Alben wie "Harvest", "Comes A Time" oder "American Stars‘n Bars" fündig. Er schlenderte durch das genialische "Out On The Weekend", flehte sich durch "Hold Back The Tears" oder wunderte sich am "Human Highway" darüber, wie wir Menschen so gemein zueinander sein können. Neil rumpelte entspannt in Richtung Nashville, bog dann aber ab und nahm den Weg nach Alabama.

Ode an die Einöde

Für den gleichnamigen Song schulterte er erstmals die Elektrische und erhöhte den Druck beträchtlich, um mit "Words", nachzulegen. Schon das Lied "Words" besitzt alle Voraussetzungen, um sich in Ekstase zu spielen, wie er 1972 mit einer 16-minütigen Version bewies, aber den Atem sparte er, gab noch melodieselige Lieder wie "Bad Fog Of Loneliness" und "Winterlong", beides einnehmende Countryrocker. Dann spielte er das erwähnte "Love To Burn" und legte mit "Revolution Blues" und "Mansion On The Hill", dieser Ode an die Idylle in der Einöde, gleichwertig nach. Fantastisch.

Himmels Zustimmung

Der Himmel sendet aus der Ferne zustimmendes Wetterleuchten, davon angestachelt ging er runter zum Fluss (das mächtige "Down By The River") spitze sich die Zähne für den "Vampire Blues", um mit "Rocking In The Free World" den Schlusspunkt zu setzen. Ein großer Abend, den man für sich, wie jedes Mal, um einen Wunsch verlängerte: dem von Young und Stephen Stills geschriebenen Liebesbekenntnis "Long May You Run". (Karl Fluch, 24.7.2016)