Konstanz – Herkömmliche Kunststoffe auf Erdölbasis stellen mittlerweile ein enormes Umweltproblem dar, weil sie – wenn überhaupt – von der Natur nur sehr langsam abgebaut werden. Deutsche Chemiker haben nun einen völlig neuartigen "Mineral-Kunststoff" präsentiert, der sich strukturell an Biomaterialien anlehnt und zahlreiche äußerst nützliche Eigenschaft mitbringt.

Konventionelle Kunststoffe sind in den seltensten Fällen biologisch abbaubar, und auch der Prozess des Recyclings erfordert viel Energie. Der nun von Wissenschaftern um Helmut Cölfen von der Universität Konstanz vorgestellte Mineral-Kunststoff wurde von Mineralisationsprozessen in der Natur inspiriert, die auf Basis von Calciumcarbonat ablaufen. Dieses Hydrogel, das einige Kunststoffe ersetzen könnte, besteht aus Nano-Partikeln von Calciumcarbonat, die durch Polyacrylsäure vernetzt werden. Das ohne Energiezufuhr bei Raumtemperatur entstehende Hydrogel ist formbar und selbstheilend, da sich etwa Risse durch die Zugabe eines Tropfen Wassers von selbst verschließen.

Farbveränderung bei Erhitzung

Auch das Zusammenfügen zweier (Bau-)Teile ist auf dieselbe Weise möglich. Die Eigenschaft, bei Erhitzen die Farbe zu ändern, ermöglicht zudem einen Einsatz des Gels als Temperatursensor. Dadurch, dass das Material durch Wasserzugabe leicht und ohne Energieaufwand umgeformt werden kann, ist das Recycling problemlos. Durch Zugabe einer schwachen Säure, etwa von Essig- oder Zitronensäure, löst es sich sprudelnd durch Freisetzung von Kohlendioxid auf. Die zurückbleibende Polyacrylsäure ist ungiftig.

"Das Verfahren der Herstellung des Hydrogels ist unmittelbar für die Industrie adaptierbar, zumal die Ausgangsmaterialien kostengünstig großtechnisch hergestellt werden", erläutert Cölfen und seine Kollegen im Fachjournal "Angewandte Chemie". Nach Trocknung erhält man ein Material wie Plastik, das nicht leicht zerbricht und biegsam ist. Dadurch ist es als Ersatz für herkömmliches Plastikmaterial für Anwendungen in Trockenheit geeignet, etwa für Elektonikbauteile. Als Weiterentwicklung wäre an Überzugsmaterialien zu denken, die dann aber das Recycling möglichst nicht beeinflussen sollten. Die besondere Quellfähigkeit und gleichzeitige Härte nach Trocknung macht das Material für Bauanwendungen interessant, um Risse aufzufüllen.

"Mineral-Kunststoffe" für Spezialaufgaben

Im Vergleich zu Biomineralien ist das Hydrogel formbar, während etwa Knochen oder Zähne hart sind, sobald das Biomineral fertig ausgebildet wurde. Nicht nur im Hinblick auf diese in der Natur ablaufenden Prozesse ist es für die Gruppe um Cölfen daher interessant, wie die Eigenschaften solcher Gele systematisch verändert und damit noch weitere "Mineral-Kunststoffe" für spezielle Anwendungen hergestellt werden können.

Künftige Forschungsvorhaben werden die neue Substanzklasse auch daraufhin unter die Lupe nehmen, welche medizinischen Anwendungen denkbar sind. Unter anderem sollen weitere Mineralien als Ausgangsstoff getestet werden, und es ist daran gedacht, Polyasparaginsäure als Vernetzungsmittel einzusetzen. Diese ist vollständig biologisch abbaubar. (red, 25.7.2016)