Berlin/Istanbul – Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan hat sich erneut für die Wiedereinführung der Todesstrafe ausgesprochen. "Nur in Europa gibt es keine Todesstrafe. Ansonsten gibt es sie fast überall", sagte er am Montag dem deutschen Fernsehsender ARD in einem vorab aufgezeichneten Interview.
Als Präsident habe er nicht die Befugnis, die Todesstrafe wiedereinzuführen. "Ich bin kein König. Ich bin nur ein Staatspräsident." Er müsse aber das Volk anhören, und dieses wolle die Todesstrafe. Die EU hatte gewarnt, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe den Abbruch der EU-Beitrittsgespräche zur Folge hätte.
Ausnahmezustand könnte verlängert werden
Ob er eine Verlängerung des dreimonatigen Ausnahmezustands anstrebt, ließ Erdoğan offen. "Wenn es eine Normalisierung gibt, brauchen wir keine zweiten drei Monate." er verteidigte sein hartes Vorgehen gegen seine Gegner. Es gebe eine ernstzunehmende Organisation, die Identität ihrer Mitglieder sei bekannt. Gemeint war damit die Gülen-Bewegung. "Weil sie bekannt sind, konnten wir schnell reagieren."
Vorwürfe an EU
Erdoğan warf hat der EU Wortbruch beim Flüchtlingspakt vor. "Die europäischen Regierenden sind nicht aufrichtig. Die EU habe ihre Versprechen zur finanziellen Unterstützung der rund drei Millionen syrische Flüchtlinge in der Türkei bisher nicht gehalten. "Drei Milliarden waren zugesagt", doch seien bisher nur ein bis zwei Millionen eingetroffen. "Wir stehen zu unserem Versprechen. Aber haben die Europäer ihr Versprechen gehalten?" Erneut forderte Erdoğan die Umsetzung der Visafreiheit für Türken.
Die EU hatte zugesagt, für jeden von der Türkei zurückgenommenen Syrer auf legalem Weg einen anderen syrischen Flüchtling aus der Türkei aufzunehmen. Das im März geschlossene Abkommen sieht vor, dass die Türkei alle auf den griechischen Ägäis-Inseln ankommenden Flüchtlinge zurücknimmt, deren Asylantrag in Griechenland abgelehnt worden ist. Zudem versprach die EU Hilfszahlungen von drei Milliarden Euro zur Versorgung syrischer Flüchtlinge in der Türkei. Bei Menschenrechtlern stieß der Flüchtlingspakt auf scharfe Kritik. Seit dem gescheiterten Militärputsch brandete die Debatte neu auf, ob das Abkommen weitergeführt werden könne.
Ministerpräsident Yıldırım kündigte am Montagabend eine Reihe von Verfassungsänderungen an. Dafür gebe es jetzt genügend Schnittmengen zwischen den einzelnen politischen Parteien, sagte er nach einer von Erdoğan geleiteten Kabinettssitzung.
Haftbefehle gegen Journalisten
Vor etwa eineinhalb Wochen waren Teile des Militärs mit einem Umsturzversuch gescheitert. Die Behörden gehen seitdem massiv gegen mutmaßliche Unterstützer der Putschisten vor. So sind Medienberichten zufolge 42 Haftbefehle gegen Journalisten erlassen worden.
Wie die Fernsehsender NTV und CNN-Türk am Montag berichteten, ist unter anderen die bekannte Journalistin Nazlı Ilıcak betroffen, die 2013 wegen kritischer Berichterstattung über einen Korruptionsskandal von der regierungsnahen Zeitung "Sabah" entlassen worden war.
Ilıcak hatte unter anderem für die Zeitung "Bugün" geschrieben, die den Gülen-Medien zugerechnet wurde. Die Regierung hatte "Bugün" im vergangenen Jahr unter Zwangsverwaltung gestellt, auf AKP-Kurs gezwungen und später geschlossen.
211 Angestellte von Turkish Airlines entlassen
Nach Angaben von Ministerpräsident Yıldırım vom Wochenende wurden bereits mehr als 13.000 Menschen in Gewahrsam genommen, darunter 8.831 Armeeangehörige, 1.329 Polizisten und 2.100 Richter und Staatsanwälte. Die Nachrichtenagentur DHA berichtete, bei Razzien gegen Gülen-Anhänger in Istanbul seien auch 31 Akademiker festgenommen worden, darunter Professoren. 60.000 öffentlich Bedienstete wurden mittlerweile suspendiert.
Am Montag berichteten Medien, dass auch 211 Angestellte der teilstaatlichen Fluglinie Turkish Airlines entlassen wurden, weil sie verdächtigt werden, mit der Bewegung in Gülen-Verbindung zu stehen. "Auch auf der Botschafterebene wird es Suspendierungen geben", sagte Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu am Montag dem Sender Habertürk. Betroffen seien aber keine Botschafter, die derzeit im Ausland akkreditiert seien, sondern Diplomaten mit dem entsprechenden Rang im Ministerium.
Im Westen stößt dies zunehmend auf Kritik. Eine Verfassungsänderung war bereits vor dem Putschversuch im Gespräch. Das hatte Sorgen geschürt, Präsident Recep Tayyip Erdoğan könne versuchen, über diesem Wege seine Macht auszuweiten. (red, APA, Reuters, AFP, 25.7.2016)