Kalifornien ist zweigeteilt, buchstäblich in der Mitte: Unten sitzen die Delegierten Hillary Clintons, oben die von Bernie Sanders. "Bernie! Bernie!", skandieren sie – worauf die unten ein zorniges "Hillary! Hillary!" anstimmen. Die Poster, die sie oben in die Höhe halten, künden vom Widerstand gegen das angepeilte transpazifische Handelsabkommen, ein rotes Tuch für die Sanders-Anhänger: Sie zeigen ein Verbotsschild, dessen Balken das Kürzel TPP überdeckt. Unten schwenken sie zartblaue Plakate: "Ich bin mit ihr". Gemeint ist Hillary Clinton.

PBS NewsHour

Stundenlang wogt es hin und her, stundenlang lassen die Schreiduelle an alles denken, nur nicht an den Schulterschluss, den die Parteitagsregie so gern inszenieren würde. Bis Sanders die Bühne betritt und drei Minuten warten muss, ehe er reden kann. Mit stehenden Ovationen wird er gefeiert, der Außenseiter, der der früheren Außenministerin um ein Haar die sicher geglaubte Kandidatur weggeschnappt hätte. Viele im Saal haben Tränen in den Augen. Seine Fans schreien sich die Kehle heiser, manche weinen.

Bild nicht mehr verfügbar.

Der in den Vorwahlen unterlegene Bernie Sanders schlug am Parteitag der US-Demokraten ein neues Kapitel auf und lud seine Fans ein, mit vereinten Kräften für Hillary Clinton einzutreten – eine Marschrichtung, die nicht allen seinen Anhängern gefiel.
Foto: Reuters / Audette

Bis ins letzte Detail erzählt der 74 Jahre alte Senator noch einmal, wie gerecht es im Land zugehen würde, wäre er US-Präsident. Dann fügt er sich in sein Schicksal und ruft seine Anhänger auf, Clinton zu wählen.

Er verstehe, wie enttäuscht sie über den Ausgang des Rennens seien, "niemand ist so enttäuscht wie ich", räumt Sanders ein. Nun aber gelte es, Donald Trump zu verhindern: "Hillary Clinton wird eine herausragende Präsidentin sein, und ich bin stolz, an ihrer Seite zu stehen."

Eine Gewissensfrage

Wenn es doch nur so einfach wäre. David Bright, ein Farmer aus dem Neuengland-Staat Maine, auf dem Kopf eine bunte Häkelmütze, bleibt jedenfalls bei seiner Meinung: Er stimme grundsätzlich nicht gegen, sondern immer nur für jemanden, sagt er. Und wenn es im November keinen gebe, den er guten Gewissens wählen könne, einen wie Sanders, bleibe er dem Wahllokal womöglich fern.

Das Argument, Hillary den Zuschlag zu geben, um Trump zu stoppen, zieht bei Bright nicht. "Sie ist einfach nicht meine Kandidatin", sagt er und zeigt pikiert auf die Poster. "Ich bin mit ihr": Bedeute das nicht, das sich bei Hillary alles nur um ihre Person drehe, während sich Bernie immer nur für andere ins Zeug lege? Auf den oberen Rängen Kaliforniens sind derweil zugeklebte Münder zu sehen. "Zum Schweigen gebracht", steht auf schmalen Gewebebändern.

Wie schwer sich die Partei damit tut, ihre Reihen zu schließen, macht nicht nur der Blick hinter die Kulissen deutlich, bisweilen sieht man es auch auf der Bühne. Als sich die Kabarettistin Sarah Silverman, eine hundertprozentige Sanders-Getreue, hinter Clinton stellt, schallen Buhrufe durch das Wells Fargo Center. Darauf Silverman: "Kann ich den ‚Bernie-oder-der-Untergang-Leuten‘ einfach sagen: Ihr verhaltet euch lächerlich!" Der Slogan "Bernie or bust", er bedeutet, nur Sanders zu wählen, sonst keinen. Dann singt der legendäre Paul Simon mit nicht mehr ganz fester Stimme vom Brückenbau über tosendes Wasser: Bridge Over Troubled Water – der musikalische Versuch, die Spannung aufzulösen.

Leidenschaftliche First Lady

Die nächste Brücke schlägt Michelle Obama, die in einer leidenschaftlichen Rede daran erinnert, wie Hillary Clinton 2008 die Vorwahlniederlage gegen ihren Mann Barack weggesteckt hat. "Hillary hat nicht eingepackt und ist nach Hause gegangen, weil sie als echte Staatsdienerin weiß, dass es um so viel mehr geht als um ihre eigenen Wünsche und Enttäuschungen."

PBS NewsHour

Im Kontrast dazu skizziert die First Lady den Gegenentwurf, den aufbrausenden Egomanen Trump: Wer den Geheimcode für Amerikas Atomwaffen zur Hand habe, der dürfe keine impulsiven Entscheidungen treffen, nicht dünnhäutig sein, nicht immerzu austeilen wollen.

Schließlich hat Sanders einen Auftritt, der als Lehrbeispiel in die Wahlkampfchronik eingehen könnte: eine Anleitung für würdevolle Verlierer. Schon Stunden zuvor bedachten seine Fans besonders energische Pro-Clinton-Reden mit besonders lautstarken Protesten. Da hatte er sie zur Disziplin angehalten. Es schade der eigenen Glaubwürdigkeit, wenn man Leute ausbuhe, Rednern den Rücken zuwende oder demonstrativ den Saal verlasse. "Das ist genau das, was Donald Trump will." (Frank Herrmann aus Philadelphia, 26.7.2016)