David S. hat "Counter-Strike" gespielt. Der Taktik-Shooter gerät nach dem Amoklauf von München nun erneut unter "Killerspiel"-Verdacht.

Foto: "Counter-Strike: Global Offensive"

David S. hat am 22. Juli mit einem Amoklauf in München die deutschsprachige Öffentlichkeit in den Ausnahmezustand versetzt. Schnell wurde nach einfachen Erklärungen gesucht, übliche Verdächtige mutmaßten auf sozialen Medien schnell über einen islamistischen Terroranschlag. Mittlerweile weiß man jedoch: S. hat wohl aus ausländerfeindlichen Motiven gehandelt.

Überhaupt ist die Lage weit komplexer, als schnelle Erklärungen zu beschreiben vermögen. Die Tat war seit einem Jahr vorbereitet. S. hasste Türken und Araber und soll Verehrung für den norwegischen Rechtsradikalen Anders Behring Breivik empfunden haben. S. war wegen Angststörungen und Depressionen in psychologischer Behandlung. Und er hatte "Counter-Strike" gespielt.

Die "Counter-Strike"-Vermutung

Es gibt viele Aspekte hinsichtlich der Persönlichkeit von S., seiner Lebenssituation, seines sozialen Umfelds und seiner Biografie, die erst erforscht und vernetzt werden müssen. Ein Prozess, der wohl Monate dauern wird. Und selbst danach dürfte die Frage "Wie wurde David S. zum Amokläufer?" nicht vollständig zu beantworten sein.

Gewissenhafte Aufarbeitung und politischer Populismus wollen allerdings nicht so recht zusammenpassen. S. war Deutsch-Iraner, das reichte schnell, um den Islamismus-Verdacht zu erheben. Jetzt greifen einige Politiker sich mit "Counter-Strike" ein neues Detail heraus. Der deutsche Innenminister Thomas de Maizière (CDU) war flott bei der Hand, dem Taktikshooter Mitschuld am Amoklauf zu geben.

Komplexe Situation vs. einfache Erklärungen

Das reißt alte Wunden auf. Schon nach den Amokläufen in Erfurt (2002), Emsdetten (2006) und Winnenden (2009) wurden "Killerspiele" eifrig von Politik und Medien durch das Dorf getrieben, sachliche Beiträge waren lange Mangelware.

Der Präsident des bayrischen Landeskriminalamts hielt zum Vorfall in München bereits fest, dass man noch bei jedem Amoklauf "Counter-Strike" auf dem Computer des Täters gefunden habe. Doch wer diesen Zusammenhang herstellt, hat den Unterschied zwischen Korrelation und Kausalität nicht verstanden.

Denn es gäbe noch eine Reihe anderer gemeinsamer Faktoren. Etwa: Alle Täter waren in einer psychisch problematischen Lage. Alle Täter waren männlich und zwischen 17 und 19 Jahre alt. Das berechtigt weder zu Pauschalisierungen gegenüber allen Menschen, die mit psychischen Erkrankungen zu kämpfen haben, noch muss man die Allgemeinheit vor jungen Männern warnen.

Jeder Fall verdient es, individuell aufgearbeitet zu werden. Wer das verweigert und versucht, einen möglichen Puzzleteil als fertiges Bild zu präsentieren, verhindert eine sachliche Diskussion. Dazu wird auch der Stand der Forschung missachtet, die bislang keinen gesicherten Zusammenhang zwischen Games und Gewalttaten erkennen konnte.

Es gibt gute Fragen

Dass man bei der Diskussion sofort in alte Muster zurückfällt, ist schade. Denn es gibt auch abseits des Amoklaufs durchaus wichtige Fragen zu klären. Etwa: Was tun mit Spielen wie "Hatred"? Während Gewalt in "Counter-Strike" und vielen anderen Shootern ein Mittel zur Erreichung eines höheren Zwecks oder schlicht eine Darstellungsform einer an sich sportlichen Auseinandersetzung ist, belohnt das Game von Destructive Creations den Spieler für die Ermordung von Unschuldigen. Der virtuelle Amoklauf liefert Gewalt um der Gewalt Willen.

Oder wie stellt man im Zeitalter des digitalen Spielevertriebs sicher, dass Games "ab 18" auch wirklich nur in die Hände Erwachsener gelangen? Braucht es bessere Kontrollmechanismen? Fehlt den Eltern schlicht der Draht zum Gaming-Hobby ihrer Kinder? Wie gehen wir mit Gewalt in Spielen um, wenn künftig Virtual-Reality-Brillen in die Wohnzimmer Einzug halten und das Spielerlebnis intensivieren? Und wieso beginnt die Ächtung eines Taktik-Shooters von Neuem, während der von realen Menschen inszenierte Mord und Totschlag zur TV-Primetime seit Jahrzehnten zum guten Ton gehört?

Die Hoffnung lebt

Immerhin: Es gibt Hoffnung, dass die "Killerspiel"-Debatte im Jahr 2016 trotz ruppigen Starts letztlich vernünftiger geführt werden wird, als noch vor zehn Jahren. Videospiele haben sich von einer skeptisch beäugten "Nerd-Leidenschaft" zum massentauglichen Hobby entwickelt. Das zeigt nicht zuletzt der Erfolg von vielen Onlinegames – von Prügelknabe "Counter-Strike" bis "World of Warcraft" und "League of Legends" – als auch der Hype rund um "Pokémon Go", der selbst vor Politikern nicht Halt macht.

Somit wird es riskanter, Videospielen den schwarzen Peter zuzuschanzen. Die Teenager von damals sind heute wahlberechtigt. Und zahlreiche Menschen älterer Generationen entdecken digitale, interaktive Unterhaltungsformen mehr und mehr für sich. Gleichzeitig wächst die Branche zu einem immer bedeutenderen Wirtschaftsfaktor heran. Wer die Stimmen der Spieler und Spielemacher will, sollte sie besser nicht stigmatisieren. (Georg Pichler, 31.7.2016)