Es steht nicht zum Besten zwischen Ihnen und uns, den europäischen Nichtmuslimen. Da meine ich nicht einmal so sehr die furchtbaren Attentate, die völlig fanatisierte junge Männer aus Ihren Reihen laufend begehen, sondern das große Unverständnis zwischen Ihnen und uns. Das hat sich in der letzten Zeit gesteigert, nicht nur wegen der Attentate und des Zustroms von Flüchtlingen, sondern weil wir eine Tatsache zu begreifen beginnen: Wir sind uns sehr fremd.

Das ist schlecht, denn wenn man Russland mitzählt, leben etwa 50 Millionen Muslime in Europa. Das sollte man aber aus den verschiedensten Gründen nicht tun, auch der europäische Teil der Türkei sollte nicht dazugezählt werden, Dann bleiben etwa 16 bis18 Millionen in der EU. Davon hat Frankreich mit über acht Prozent den höchsten muslimischen Anteil an der Gesamtbevölkerung, Deutschland 4,5 %, die Niederlande 4,9 %, Großbritannien vier bis fünf Prozent und Österreich (570.000) rund 6,5 Prozent (das sind alles Schätzungen). Der Zuwachs seit den 50er-Jahren ist rasant und hält an.

Wie gesagt, wir wissen wenig voneinander. Auch weil wir Journalisten erst relativ spät uns dafür interessiert haben, mit wem wir da zusammenleben. Aus all dem ergibt sich eine Unmenge von Problemen. Das größte ist die sehr verschiedene Weltsicht.

Schlicht gesagt: Für Sie ist die Religion großteils noch immer sehr wichtig, für uns ist sie es nicht mehr. An Sie stellt der Islam den Anspruch, euer ganzes Leben zu umfassen und auch zu reglementieren. Wir haben in Europa diesen Anspruch, den das Christentum einst auch sehr vehement stellte, aber längst abgeschüttelt, beginnend mit der Aufklärung vor 250 Jahren. Auch bei uns gibt es viele Menschen mit – abgestufter – Gläubigkeit, aber wir lassen uns nicht mehr von der Religion dominieren. Es sind nur noch ganz wenige, die den religiösen Vorschriften bei Bekleidung, der Rolle der Frau, im Sexualverhalten etc., etc. folgen. Bei euch sind es wesentlich mehr, manche davon sind geradezu militant, und das ist der größte Unterschied zwischen uns. Zugespitzt formuliert, haben wir nicht vor knapp hundert Jahren die Dominanz der Kirchen abgeschüttelt, damit jetzt durch die Hintertür der Immigration reaktionäre Prinzipien über die Rolle der Frau in der Gesellschaft wieder hereinkommen.

Gewiss, die meisten Muslime wollen nur in Ruhe ihre Religion leben. Das ist in Ordnung, obwohl es praktische Schwierigkeiten gibt. Aber der politische Islam tritt immer fordernder auf.

Ihre kulturell-sozialen Vorstellungen schlagen sich doch stark mit den unseren. Dazu kann man einen Dialog führen, man kann Kompromisse finden, aber eines muss klar sein: Europa lebt in der Moderne, und das bedeutet: Die Religion hat ihren Platz, aber nicht mehr. Wir mögen in Ihren Augen gottlose Libertins sein, aber wir haben eine erfolgreiche Gesellschaft und geordnete Staatswesen geschaffen. Deswegen kommen Sie ja aus Ihren scheiternden Staaten zu uns. Frömmigkeit ist die eine Sache, das Leben in Freiheit eine andere. (Hans Rauscher, 29.7.2016)