Shinichi Mochizuki half Kollegen, seinen Beweis nachzuvollziehen.

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Kyoto/London – Es war im August 2012, als der japanische Mathematiker Shinichi Mochizuki vier Aufsätze veröffentliche, die nicht weniger als die Zahlentheorie revolutionieren könnten. Es gab allerdings ein gravierendes Problem: Kein Mathematiker verstand auch nur ansatzweise, ob Mochizuki auf diesen 500 Seiten tatsächlich einen Beweis der legendären abc-Vermutung liefert oder nicht.

Vergangene Woche fand in Kioto die bereits dritte Tagung zu Mochizukis monumentalem Werk statt. Im Unterschied zur bisher letzten Konferenz im Dezember in Oxford wurden diesmal rund 50 Mathematiker vom Meister persönlich, der an der Universität Kyoto arbeitet, durch dessen Beweis geführt.

Licht im Formeldickicht?

Einige der Teilnehmer aus aller Welt schienen danach ein wenig mehr Licht im Dickicht der Formeln zu sehen, berichtet das Wissenschaftsjournal "Nature": Jeffrey Lagarias, ein Zahlentheoretiker der Uni Michigan in Ann Arbour, etwa meinte, dass er nun weit genug sei, um zu begreifen, dass die Auseinandersetzung mit dem Beweis die Mühe lohnt: "Er enthält einige revolutionäre Ideen."

Sein Kollege Kiran Kedlaya von der Universität von Kalifornien in San Diego ist überzeugt, dass Mochizuki weniger isoliert sei als noch vor vier Jahren. Je mehr er sich mit dem Beweis befasse, so Kedlaya, desto mehr Zeit würde er veranschlagen, bis man sich darüber einig sei, ob Mochizuki der Beweis der abc-Vermutung nun gelungen ist oder nicht. Falls ja, wäre ihm ein Platz neben den allergrößten des Faches gewiss: dem russischen Mathematiker Gregorij Perelman etwa oder der kürzlich verstorbenen Mathematiklegende Alexander Grothendieck.

Worum es bei der erst 1985 aufgestellten Vermutung geht, ist naturgemäß nicht ganz einfach zu verstehen. Ähnlich wie bei der entfernt verwandten Großen Fermatschen Vermutung geht es auch hier um drei natürliche Zahlen a, b und c, wobei c die Summe aus a und b ist und alle drei Zahlen keine gemeinsamen Teiler besitzen, etwa 25 + 27 = 52. Das Produkt der in a, b und c enthaltenen Primzahlen ist (bis auf wenige Ausnahmen) größer als c. Trivial formuliert: Natürliche Zahlen mit zahlenmäßig vielen mehrfach auftretenden Primfaktoren – sogenannte hochpotente Zahlen – kommen vergleichsweise selten vor.

So unbedeutend die abc-Vermutung für Laien klingt, so aufregend ist sie für Mathematiker. Sie verspricht nämlich, als Konsequenz eine ganze Reihe von weiteren Vermutungen auf einfachere Weise zu lösen, wie eben auch Fermats Satz. Entsprechend groß ist auch das Interesse an Mochizukis Beweis, den ihr Autor nicht ganz unbescheiden Interuniverselle Teichmüller-Theorie oder überhaupt gleich Interuniverselle Geometrie nennt.

Zehn aktive Überprüfer

Nach dem Workshop vergangene Woche scheint es nun rund zehn Mathematiker zu geben, die sich mit aller Anstrengung der Überprüfung von Mochizukis Beweis widmen wollen. Nach dem Workshop in Oxford, der eher für Frustrationen sorgte, waren es nur drei. Im Dezember hatten die meisten Zahlentheoretiker das Treffen ähnlich ratlos verlassen, wie sie gekommen waren. Mochizuki war nur per Skype dabei.

Leicht macht es der 46-Jährige seinen Kollegen in keiner Weise: Obwohl er in den USA aufwuchs und in Princeton promovierte, zieht er es heute vor, Kyoto nicht mehr zu verlassen. Und bei der jüngsten Konferenz hielt er zwar Vorträge, an sozialen Aktivitäten wie den Mittagessen nahm er aber nicht teil. Er habe jedoch alle Fragen während der Tagung zuvorkommend beantwortet.

So wie anderen anwesenden Zahlentheoretikern war aber auch Kiran Kedlaya bis zum Ende nicht klar, was Mochizuki von dem Workshop überhaupt hielt: Er gebe wenig preis – wie ein exzellenter Pokerspieler. (Klaus Taschwer, 30.7.2016)