Papst Franziskus am Weltjugendtag in Polen.

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Eine "rebellische Jugend" wünscht sich Papst Franziskus. Eine mit Schuhen an den Füßen, besser noch mit Stiefeln. Sie soll Spuren ihres engagierten Lebens in der Welt hinterlassen: "Wir sind nicht auf die Welt gekommen, um es uns auf einem Sofa bequem zu machen", sagte der 79-Jährige Pontifex auf dem katholischen Weltjugendtag im südpolnischen Krakau. "Es macht mir Sorgen, wenn ich junge Menschen sehe, die das Handtuch geworfen haben, bevor sie zum Wettkampf angetreten sind." Mit rund 1,5 Millionen junger Pilger feierte Papst Franziskus am Sonntag die Abschlussmesse in Brzegi bei Krakau. Dabei fasste der Papst die Botschaft seines Pontifikats zusammen: Bei den Lebensaufgaben "Weltverbesserung" und "Sinngebung des eigenen Lebens" gebe es ein Gefühl, das alles Denken und Tun begleiten müsse: die Barmherzigkeit.

Katholische Weltjugendtage sind normalerweise große katholische Multi-Kulti-Feiern mit hunderttausenden Gläubigen, die singen, tanzen, beten und vor allem dem Papst wie einem Popstar zujubeln. Das war in Krakau in diesem Jahr nicht viel anders. Immerhin war es Karol Wojtyla aus Krakau, der als Papst Johannes Paul II. den Weltjugendtag 1985 in Rom aus den Taufe hob und ihn über Jahrzehnte hin prägte. Nach seinem Tod im Jahr 2005 setzte Papst Benedikt XVI. aus Deutschland diese Tradition fort. Auch Papst Franziskus wollte ein fröhliches Fest. Doch er durchsetzte ganz bewusst alle seine Ansprachen, Predigten und sogar die allabendlichen Fenstergespräche mit den jungen Leuten vor der Krakauer Bischofspalast mit nachdenklichen, ja traurigen Botschaften.

Da war der junge Grafik-Student Maciej Cieslo, der viele Zeichnungen sowie die Fest-Soutanen für die Bischöfe und den Papst entworfen hatte. Der 23-Jährige erkrankte plötzlich an bösartigem Knochenkrebs, kämpfte gegen die Krankheit an, wollte noch mit dem Papst in der Straßenbahn bis zu den Blonia-Wiesen zur ersten großen Predigt fahren. Ein Platz für ihn war in der Straßenbahn reserviert. Doch er schaffte es nicht mehr. Am 2. Juli starb er. Den sichtlich betroffenen Jugendlichen, die gerade noch so unbeschwert fröhlich "Papa, Papa" und "Francesco!" gerufen hatten, sagte das Oberhaupt der Katholischen Kirche: "Ihr glaubt vielleicht, der Papst verdirbt euch den Abend. Aber wir müssen uns an gute und schlimme Dinge gewöhnen. So ist das Leben, junge Freunde."

Oder am Tage seines Besuchs im NS-Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau. Franziskus hatte dort nur ein paar persönliche Worte mit Überlebenden und christlichen Judenrettern gewechselt, einer Gedenkrede oder gar Predigt aber das Schweigen und stille Gebet vorgezogen. Am Abend aber, vom Fenster des Bischofspalastes aus, richtete er seine mahnende Worte nicht nur an die jungen Leute in Krakau, sondern an die ganze Weltgemeinschaft: "Die Grausamkeit hat mit Auschwitz und Birkenau nicht aufgehört", sagte er. "Heute passieren ähnliche Dinge in vielen Teilen der Welt, in denen Krieg herrscht". Gemeinsam mit den in Krakau Versammelten betete er für Kriegs- und Folteropfer und für jene, die in überbesetzten Gefängnissen inhaftiert sind und dort leben müssten "wie Tiere".

Doch Papst Franziskus geht es nicht nur ums Beten und die Erkenntnis, dass das Böse böse ist. Die inzwischen leere Floskel "Nie wieder!" kam nicht über seine Lippen. Dieser Papst will Taten sehen und geht selbst mit gutem Beispiel voran. Von der griechischen Insel Lesbos nahm er in seinem Flieger zwölf syrische Flüchtlinge mit, darunter sechs Kinder. Am Gründonnerstag wusch er Flüchtlingen die Füße, darunter neben Christen auch Muslimen, neben Männern auch Frauen. "Wir sind alle Kinder eines Gottes", sagte er damals.

In Polen erinnerte er gleich in seiner ersten Rede, die er vor Regierungsmitgliedern im Wawel, der alten Königsburg Polens, hielt, an die Massenemigration der Polen aus politischen und wirtschaftlichen Gründen. Die Regierung solle denjenigen, die wollten, die Rückkehr erleichtern.

"Zugleich", so der Papst weiter, "ist die Bereitschaft zur Aufnahme derer notwendig, die vor Kriegen und Hunger fliehen; die Solidarität gegenüber denen, die ihrer Grundrechte beraubt sind, darunter des Rechtes, in Freiheit und Sicherheit den eigenen Glauben zu bekennen." Polens Politiker versuchten undurchdringliche Mienen aufzusetzen, waren es doch genau diese klaren Worte des Oberhauptes der katholischen Kirche, die sie so sehr gefürchtet hatte. Die rechtsnationale Regierung, die seit Oktober 2015 regiert, weigert sich, die von der Vorgängerregierung der EU zugesagten 7.000 Flüchtlinge aus Syrien und Eritrea aufzunehmen. Angeblich nähme Polen hunderttausende Flüchtlinge aus der Ukraine auf. In Wirklichkeit genießen gerade mal gut zwei Dutzend Ukrainer Flüchtlingsstatus in Polen, alle anderen sind mit einem Arbeits-, Studenten- oder Touristen-Visum nach Polen eingereist.

Während der Nachtwache am Samstag, an der neben den hunderttausenden Jugendlichen wiederum Präsident Andrzej Duda und zahlreiche Politiker teilnahmen, erzählte eine junge Syrerin aus der fast vollständig zerstörten Stadt Alleppo, wie sie dort trotz des Krieges versuchten, ein halbwegs normales Leben zu führen. Als sie die Namen ihrer Freunde und Freundinnen vorlas, die sie nie wieder sehen würde, musste sie mit tränenerstickter Stimme innehalten. Doch sie fing sich. Sie hoffe auf die Barmherzigkeit Gottes für Syrien und die Gebete der Christen in aller Welt. Tätige Hilfe lehnte Polens Regierungschefin Beata Szydlo noch während des Weltjugendtages ab. Papst Franziskus und seine Erinnerung an Solidarität und Barmherzigkeit der Christen hin oder her. (Gabriele Lesser, 31.7.2016)