Budapest – In Ungarn ist das Thema der notleidenden Frankenkredite von den Medien-Titelseiten verschwunden. Das bedauert Mariann Lenard, Vorsitzende des Verbandes der Kreditgeschädigten. Es handle sich lediglich um die Ruhe vor dem Sturm, Zwangsräumungen seien nur vorübergehend ausgesetzt. Die Fremdwährungskredite seien nach wie vor eine soziale Zeitbombe. Das bewiesen immer mehr Hilferufe von Kreditopfern, sagt sie im APA-Gespräch.

Noch vor der Finanzkrise 2008 hatten rund eine Million ungarische Haushalte Kredite in Fremdwährungen – unter anderem bei den Ungarn-Töchtern österreichischer Banken – aufgenommen, rund 90 Prozent davon in Schweizer Franken. Grund dafür waren die niedrigen Zinsen. Nicht ausreichend sei die Aufklärung der Banken über die Risiken eines solchen Kredits hinsichtlich von Kursschwankungen gewesen, kritisiert Lenard. Auch sei die Bonität der Kreditnehmer kaum überprüft worden. Viele Bürger hätten sich hinsichtlich der Kredite auch übernommen.

Kreditnehmer können Schulden nicht tilgen

Die Ungarn bauten mit diesen Krediten nicht nur Häuser und Wohnungen, sondern kauften auch Autos, Kühlschränke und finanzierten Reisen. Doch durch den massiven Verfall der Landeswährung Forint explodierten die Kreditraten. Betroffene konnten ihre Schulden nicht mehr tilgen, der Traum von einer eigenen Wohnung oder einem eigenen Haus platzte. 2012 waren die Besitzer von mehr als 100.000 Immobilien mit den Ratenzahlungen so stark in Verzug, dass Banken Zwangsräumungen forderten.

Der rechtskonservative Regierungschef Viktor Orban hatte 2011 angekündigt, sein Land aus der "Schuldensklaverei" zu befreien. Ein Gesetz wurde verabschiedet über die vorzeitige komplette Tilgung der Fremdwährungskredite zu einem unter den Marktwert liegenden Frankenkurs von 180 Forint (0,58 Euro). Der Marktpreis lag damals zwischen 240 und 250 Forint. Diese Regelung half jedoch nur einem kleinen Kreis der Frankenkredit-Schuldner, die damals die Mittel aufbringen konnten, erinnert Lenard. Zugleich wurden die Banken dazu verpflichtet, diese Fixkurse bei der Tilgung zu gewähren und die zusätzlich anfallenden Kosten zu tragen.

Künstlicher Frankentarif

Die österreichische Regierungsspitze hatte damals heftig dagegen protestiert und von einer Verletzung der Rechtssicherheit und von Verträgen gesprochen. Töchter österreichischer Institute, speziell von Erste und Raiffeisen, gehörten mit zu den größten Fremdwährungskreditgebern. Der ungarische Bankenverband schätzte damals die Nettobelastung der Banken auf 210 Milliarden Forint (aktuell 670 Millionen Euro).

Die ungarische Regierung hat laut Lenard eine weitere Maßnahme getroffen, um den betroffenen Bürgern zu helfen. Schuldnern wurde ermöglicht, ihre Raten fünf Jahre lang zu einem "künstlich" niedrigen Franken-Wechselkurs von 180 Forint zu tilgen. Der entstehende Differenzbetrag muss später beglichen werden, während Staat und Banken zusätzliche Zinskosten zu gleichen Teilen übernehmen. Wenn die daran teilnehmenden Kreditinhaber in rund 18 Monaten zur Kasse gebeten werden, stünde eine neue Welle von Zwangsräumungen an, erwartet Lenard.

Lage verschlechtert

Kritik übte die Verbandssprecherin an der Zwangskonvertierung der Fremdwährungskredite in die Landeswährung Forint, die im Jahr 2014 eingeführt und abgeschlossen wurde. "Leider ist diese Konvertierung zu einem solchen Kurs erfolgt, der die Lage noch verschlechterte." Denn wer einen Frankenkredit zu einem Forintkurs von 160 Forint aufgenommen hätte, der musste bei der Konvertierung einen Kurs von 256 Forint akzeptieren. "Im Falle von Kreditschulden in Höhe von 10 Millionen Forint wuchs diese Summe nach der Konvertierung letztlich auf fast das Doppelte an." Es treffe zwar zu, dass sich die Monatsraten nach der Konvertierung nicht änderten, nur könnten auch diese im Falle von Durchschnittsverdienern nicht bedient werden. "Seit der Konvertierung gibt es weit mehr Sorgen".

Für die Banken, die wegen der Zwangskonvertierung tief in die Tasche greifen mussten, gebe es dennoch Vorteile. "Ohne diesen Schritt hätte sich die Anzahl der faulen Kredite wieder stark erhöht", hieß es seitens der ungarischen Notenbank. Die ungarische Regierung hatte die Banken für die entstandene Zwangslage verantwortlich gemacht, in der hunderttausende Menschen ihre Kreditraten kaum zahlen könnten.

Kreditnehmer wollen mieten

Doch auch wer zahlen könnte, der zahlt oft nicht, erinnert Lenard. Die Kreditnehmer würden die Belastung für übermäßig hoch halten. "Ich hatte einen Franken-Kredit in Höhe von 10 Millionen Forint aufgenommen, inzwischen 15 Millionen zurückgezahlt, und die Bank will immer noch 10 Millionen von mir, das ist zu viel", zitiert Lenard einen Klienten ihres Verbands.

Als "den einzigen Ausweg aus der Misere" sieht die Verbandschefin jene Maßnahme der ungarischen Regierung, die den Schuldnern ermöglichen, als Mieter weiter in ihren Immobilien zu wohnen, die sie wegen ihrer Zahlungsunfähigkeit den Banken zurückgeben mussten. Hier kauft der Staat diese Immobilien von der Bank, und die Betroffenen können für eine niedrige Miete in den Immobilien bleiben. "Wer über die nötigen Mittel verfügt, kann die Immobilie nach sechs Jahren für den Preis zurückkaufen, für den der Staat das Haus oder die Wohnung von der Bank erwarb."

Laut Lenard würde dieser Preis bei einer Immobilien von 10 Millionen Forint durchschnittlich 3 Millionen betragen. Deswegen wollen viele Kreditschuldner auch nicht zahlen, sondern als Mieter ausharren, um ihre eigene Immobilien billig zurückzukaufen. Dieses Programm sei ein effektiver Ausweg. "Nur leider ist der dafür zur Verfügung stehende Fonds gegenwärtig ausgeschöpft", erklärt Lenard. Würde der Fonds nicht wieder aufgestockt, stünden auch hier weitere Zwangsräumungen an. "Wir sehen, dass bereits erneut eine Reihe von Verfahren eingeleitet wurden."

Die Banken seien angesichts der massiven Probleme mit den Fremdwährungskrediten flexibler geworden und eher bereit, ihre Forderungen herabzusetzen, wenn der Schuldner seine Schulden in einer Summe zurückzahlt. Der Verband der Kreditgeschädigten steht in ständigen Verhandlungen mit Banken, denen klar gemacht werden soll, dass sie ohne einen Vergleich leer ausgehen. "Ist der Kreditschuldner zahlungsfähig, dann können wir zumeist mit der Bank sehr günstige Vergleiche aushandeln. Hat er jedoch keine finanziellen Mittel, wird um eine möglichst baldige Aufnahme in ein Hilfsprogramm gerungen". Lenard kritisiert, dass die Probleme der Kreditschuldner gegenwärtig kaum kommuniziert werden, obwohl diese akut seien. Früher hätten monatlich 300 Kreditschuldner die Hilfe ihres Verbandes gesucht. "Wären es gegenwärtig die doppelte Anzahl, hätten wir die nötige Kapazität". Lenard glaubt nicht daran, dass der Staat hinsichtlich weiterer Hilfeleistungen "irgendeine Entscheidung treffen wird, sondern dies eher den Banken überlässt". Dabei könnte die Regierung ein Maßnahmenpaket schnüren und den Schuldnern einen Teil der Schulden erlassen. (APA, 31.7.2016)