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Der Franzose Bernard Hinault (li.), der 1979 einen seiner fünf Tour-Siege feiern sollte, überreichte Gerhard Schönbacher die rote Laterne.

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Gerhard Schönbacher (62) war ein Sportabenteurer und ist ein wandelnder Anekdotenschatz.

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Bruck/Wien – Es ist nicht so, dass Gerhard Schönbacher keine Kollegen aus seiner aktiven Zeit trifft. Eddy Merckx besucht der Steirer sogar regelmäßig in Belgien. "Aber sonst meide ich Treffen der alten Rennfahrer, bei denen jeder erzählt, was er nicht alles gewonnen hätte, wenn nicht dies oder das passiert wäre. Mich hat es immer angezipft, mich selbst zu belügen. Ich habe nicht gewonnen, weil ich abreißen lassen musste, nicht mehr mitgekommen bin in entscheidenden Momenten."

Gerhard Schönbacher (62) war ein Sportabenteurer und ist ein wandelnder Anekdotenschatz, einer, der nie um einen Spruch verlegen war ("Ich kann glaubhaft versichern, dass ich nur mit Bananen gefahren bin") und selbst fantastische Geschichten schrieb. Etwa die vom gefeierten zweimaligen Letzten der Tour de France, vom Träger der roten Laterne. Aber Gerhard Schönbacher, als Veranstalter von extremeren Mountainbikerennen wie der Crocodile Trophy oder der Alpen Tour nach wie vor im Geschäft, ist unsentimental. Das hängt wohl auch mit seiner Herkunft zusammen.

Harte Schule

Schönbacher stammt aus Mellach bei Graz, aus einer Arbeiterfamilie, "aus einfachen Verhältnissen". Die Siedlung, in der er mit Schwester und Bruder aufwuchs, wurde wegen nachgesagter und tatsächlicher sozialer Probleme die "Glasscherbensiedlung" genannt. Es sei eine harte Schule gewesen, "aber ich hatte eine schöne Jugend. Wir haben viel Fußball gespielt in den Mur-auen." Schönbacher verdiente schon frühzeitig neben der Schule Geld – "heute hieße das Kinderarbeit" -, in einer Gemischtwarenhandlung, in einer Farbenfabrik und als Altmetallsammler.

Mit dem Verdienten und einem Zuschuss seiner Eltern konnte er sich ein Rad kaufen, "ein Puch Bergmeister, das hat 2860 Schilling gekostet". Schönbacher begleitete den radelnden Kaplan regelmäßig zur Messe ins 28 Kilometer entfernte Weiz, "dann habe ich vor der Kirche gewartet". Mit 13 radelte er nach Krk. So richtig zu seinem Sport kam er aber erst als Eishockeyspieler. Als solcher schaffte er es an der Seite eines späteren Nationalspielers namens Franz Voves bis in die Reserve des ATSE Graz. Dessen Coach Frantisek Tikal, ein tschechischer All-Star der WM 1965, riet zum Sommertraining auf dem Rad.

Schönbacher nahm den Rat so ernst, dass er bald Rennen gewann, 1971, mit 17, sogar die Dusika-Jugendtour, die bis zur Jahrtausendwende ein Sprungbrett in den großen Radsport war. Der steirische Mechanikerlehrling der AVL nutzte das Sprungbrett: "Ich wollte nicht arbeiten, ich wollte Sportler werden." Also verdiente Schönbacher sein Geld fortan auf dem Rad. Erst in Österreich, ab 1977 in Belgien.

Ein recht lustiger Kerl

Da allerdings schon mit Kreuzschmerzen. Nach einem Skiunfall in Schladming im Winter 1975/76 litt er unter einer Beckenfehlstellung. Die ganz großen Erfolge waren so nicht möglich. Aber 1979 nahm Gerhard Schönbacher im belgischen Team DAF Trucks-Aida erstmals die Tour de France in Angriff.

Ein Journalist, der über das erfolglose DAF-Team schrieb, brachte den Neuling, dem der Ruf vorauseilte, ein recht lustiger Kerl zu sein, auf die Idee, um den letzten Platz zu fahren. Das Ringen um die Lanterne Rouge ist eine Eigenheit der Großen Schleife. Früher winkten dem im Ziel zu Paris Letztplatzierten deutlich größere Aufmerksamkeit und höhere Antrittsgelder in anschließenden Showrennen als Fahrern, die im guten Mittelfeld landeten. Letzter zu werden ist allerdings kein Selbstläufer, es ist die Fahrt auf einem schmalen Grat. Wer prozentuell mehr auf den Sieger verliert als erlaubt, fällt aus der sogenannten Karenzzeit und wird aus dem Rennen genommen. Bei der Tour bewegt sich die Karenzzeit je nach Etappenzuschnitt bei drei bis 30 Prozent der Siegerzeit.

Gerhard Schönbacher entpuppte sich als Koryphäe auf dem Gebiet der Renneinteilung. "Ich wusste immer genau, wie viel ich verlieren durfte. Bergauf etwa eine Minute pro Kilometer. Geholfen hat mir, dass ich sehr schnell bergab fahren konnte. Man hat mich Kamikaze genannt."

Rummel

Berechnende Fahrweise war in Schönbachers Fall kein Makel. Als 89. und Letzter, 4:19:21 Stunden hinter dem französischen Sieger Bernard Hinault, erreichte er Paris. Der Rummel um den Träger der roten Laterne war gewaltig, aber Félix Lévitan, dem TourDirektor, war das gar nicht recht. "Er hat sich gedacht, 'dieser Österreicher macht mir mein schönes Rennen kaputt'. Also wurde das Reglement verschärft."

Bei der Tour 1980 sollte zwischen der dritten und drittletzten Etappe zusätzlich zu den an der Karenzzeit Gescheiterten auch der jeweils Letzte ausscheiden. Schönbacher meisterte die verschärfte Aufgabe, wenn auch mit für ihn durchaus unkonventionellen Aktionen. "Ich musste zwischendurch sogar um Sekundengutschriften mitsprinten, damit ich nicht vorzeitig Letzter werde."

Die süßeste Rache an Monsieur Lévitan sollte aber ein Etappensieg des Laternenjägers sein – ausgerechnet zum krönenden Abschluss auf den Champs-Élysées. "Ich war in einer Spitzengruppe der einzige Sprinter, deshalb wollten die anderen keine Führungsarbeit leisten. Da hab ich dann einfach selber attackiert, aber wahrscheinlich zu spät!" Kurz lag er solo voran, schließlich ist es der zehnte Platz geworden, Schönbachers zweitbestes Tourergebnis. "Aber du kannst ohnehin gewinnen, was du willst, ein Jahr darauf weiß es keiner mehr." Bleibend ist allerdings, dass Schönbacher als 79. erneut gefeierter Letzter wurde. Auf den niederländischen Sieger Joop Zoetemelk hatte er damals nur 2:10:52 Stunden verloren – ein bis heute unerreicht knappes Ergebnis. "Ich war der schnellste Letzte."

Verklärung ist Schönbacher jedoch fremd, ebenso wie ihm das Spektakel um die Tour im Grunde fremd blieb. "Ich habe bis heute nicht verstanden, warum da bei manchen Etappen 100.000 Leute stehen und schreien. Ich mag den Fanatismus nicht. Zum Extremismus ist es da nicht mehr weit."

Sport ist Sport

Schönbacher gab sich die Tour auch 1981 noch, wurde 112. von 121 Finishern, auf der siebenten Etappe in Bordeaux markierte er mit Rang sieben sein bestes Tour-Ergebnis. Ab der Saison 1982/83 fuhr er in einem selbst zusammengestellten Team aus Abenteurern auf der ganzen Welt, auch in Südafrika, obwohl ein sportliches Embargo über dem Apartheidstaat lag. "Politik ist Politik, Sport ist Sport. Ich war mir sicher, dass ich gesperrt werden würde, das wäre ein gutes Karriereende geworden. Aber keiner hat ein Ohrwaschl gerührt." Erst 1985, nach einem Trainingsunfall mit einem Auto in Australien, war das Ende nah. Zwei Jahre später fuhr er mit privatem Sponsor noch bei der WM in Villach.

Schönbacher, der zwischenzeitlich auch Speedski-Rennen gefahren war – maximal 186 km/h, auf ein Autodach geschnallt waren es gar 220 km/h -, hat sich danach seinen Jugendtraum vom selbstgebauten Haus am Meer erfüllt – südlich der Goldküste in Australien. "Aber nach sechs Wochen war mir fad, ich habe Golf ausprobiert, war Mitglied in jedem Klub meiner Umgebung."

Ein Angebot, Manager des Varta-Teams zu werden, war die Rettung. "Ich habe das vier Jahre gemacht, habe in Paris gewohnt." Acht Jahre lang vermittelte der Weltenbummler dann dank seiner Kontakte Radprofis für die Österreich-Rundfahrt. Seit elf Jahren ist Gerhard Schönbacher verheiratet. Er lebt in Bruck an der Mur. Ja, und zuweilen trifft er Eddy Merxck – beim Kannibalen, dem erfolgreichsten Radprofi aller bisherigen Zeiten, läuft er nicht Gefahr, Geschichten über aus diesem und jenem Grund knapp verpasste Siege zu hören. (Sigi Lützow, 1.8.2016)