Nicht nur Erdoğans AKP, auch die sozialistische Heimatpartei demonstriert gegen das Ausland. In US-General Joseph F. Dunford sieht man gar den Drahtzieher des Putschversuchs.

Foto: AFP / Turkish Presidential Office / Kayhan Ozer

Mehr als zwei Wochen haben sie sich in den Wäldern und hüfthohen Wiesen im Hinterland von Marmaris versteckt. Doch der Putsch, an dem sie teilnahmen, ist längst vorbei, die Mission gescheitert: Den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdoğan sollten sie aus seinem Ferienhotel in Marmaris an der Mittelmeerküste entführen und zu den anderen Geiseln auf einen Luftwaffenstützpunkt bei Ankara bringen. So hat der Brigadegeneral ausgesagt, der noch im Hotel gefasst worden war. Elf weitere seiner Soldaten des Spezialkommandos wurden nun in der Nacht auf Montag gestellt. Zwölf sind noch auf der Flucht.

Dass die Männer des Brigadegenerals Sahin Sönmezates bewaffnet weiter im Urlaubsgebiet um Marmaris unterwegs waren – und wohl noch sind -, gehört zu den bizarren Aspekten dieses gescheiterten Putsches. "Kein Sicherheitsproblem", behauptete der Gouverneur der Provinz Muğla , als er am Montag von der Festnahme der flüchtigen Soldaten berichtete. In Muğla habe es keine einzige Stornierung einer Hotelbuchung gegeben. Doch der Tourismus liegt in diesem Jahr der Terroranschläge und der Putschisten ohnehin darnieder.

"Genaue Überprüfung"

Selbstkritik ist erstmals in Ankara zu vernehmen. Regierungschef Binali Yıldırım räumte Fehler bei den Aktionen gegen angebliche Gülen-Anhänger im Staat ein. Unter den suspendierten und entlassenen Beamten gebe es "sicherlich welche, die Opfer ungerechter Verfahren wurden", sagte Yıldırım. Eine genaue Überprüfung sei nun in Gang. Mehr als 18.000 Menschen sind seit dem Putsch vom 15. Juli festgenommen worden, 66.000 Beamte in der Verwaltung wurden entlassen, das Vermögen von 4000 Unternehmen wurde blockiert.

Sonst aber gibt es nichts als Erfolgsmeldungen und zur Schau gestellte Entschlossenheit. Erdoğan regiert per Dekret und konzentriert die Macht um sich. Nach der Neuordnung der Armee, die nun – wie in Nato-Ländern üblich – tatsächlich dem Verteidigungsminister unterstellt ist, kommt nun die Reihe an den Geheimdienst. Er soll unter die direkte Kontrolle des Staatspräsidenten gestellt werden – ebenso wie der Generalstabschef der Armee und das Amt für religiöse Angelegenheiten, so kündigte der Regierungssprecher am Montag an.

Der Chef der sozialdemokratischen Opposition, Kemal Kiliçdaroglu, kritisierte die Eigenmächtigkeit des Präsidenten. Der Staat könne nicht einfach von ein paar Leuten umgebaut werden, sagte er. Auch wenn er befürworte, dass die Armee unter zivile Aufsicht gestellt wird, so müsse das Parlament dies beschließen. Seit dem 20. Juli gilt in der Türkei der Ausnahmezustand.

Attacken gegen EU und USA

So überzeugt von sich selbst scheint die politische Führung in Ankara nach ihrem schnellen Sieg über die Putschisten, dass sie die EU wie die USA nun unablässig attackiert. Den Europäern wirft sie doppelte Moral vor; den USA unterstellt sie, am versuchten Sturz Erdoğans mitgearbeitet zu haben. US-Stabschef Joseph F. Dunford reiste Montag in die türkische Hauptstadt, um sicherzustellen, dass die Türkei weiter an der Koalition gegen die Terrormiliz IS in Syrien teilnimmt. Der US-General wurde mit der Forderung nach der Auslieferung Gülens konfrontiert.

Die "Demokratie-Wachen", die Erdoğans Anhänger seit dem Putsch nächtlich auf den Plätzen der Städte abhalten, werde nun auf Europa ausgedehnt, meldeten Regierungsblätter. Damit würde den Europäern Unterricht in Demokratie erteilt. Und weil Erdoğan am vergangenen Wochenende nicht per Video zu seinen Anhängern in Köln sprechen durfte, bestellte das türkische Außenministerium den deutschen Gesandten ein. (Markus Bernath, 2.8.2016)