Der behäbige Gasthof soll auch weiterhin als Leitbetrieb im Mürzer Oberland gelten dürfen.

Foto: Majken Corti

Carpaccio vom Jungspießer: das zarte Fleisch des Rehbocks wird mit einer Kräuterfarce eingerollt und dann erst dünn aufgeschnitten – sieht dekorativ aus.

Foto: Majken Corti

Als Hubert und Siegrun Holzer 1985 ihren Gasthof in Neuberg von den Eltern übernommen haben, waren ambitioniert bekochte Wirtshäuser abseits der Tourismuszentren noch sehr seltene, von der lokalen Bevölkerung als exotisch beäugte Gebilde. Dass die Holzers hier, wo mitten in den Bergen eine Stiftskirche von gotischer Pracht (sonst aber recht wenig von Belang) steht, ein Restaurant mit Feinschmeckeranspruch etablierten, darf durchaus als Pionierleistung gewürdigt werden.

Nach mehr als 30 Jahren haben sich die beiden seit ein paar Monaten zurückgezogen – und ein junges Paar hat das Haus übernommen. Dem Vernehmen nach wollen die Holzers den Übergang in die neue Zeit mit Rat und Tat begleiten, damit sich Stammgäste, von denen ja einige gemeinsam mit den Betreibern alt geworden sein könnten, nicht etwa überrumpelt fühlen.

Mit Lederhosen und Dirndl

Die Gefahr hält sich freilich in Grenzen. Thomas Schäffer ist ebenfalls Steirer, kochte unter anderem in den El-Gaucho-Steakhäusern der Familie Grossauer und war zuletzt als Patissier in den Diensten Andreas Döllerers im salzburgischen Golling.

Karolin Hanslick stammt aus Berlin und war bei Döllerer im Service tätig. Nachdem es gefunkt hatte, wollten die beiden recht schnell gemeinsam etwas Eigenes auf die Beine stellen. "Als wir den Holzer entdeckt hatten, war gleich klar, dass wir das machen wollen", sagt Hanslick.

Wer hier schon länger nicht mehr eingekehrt ist, wird das fensterlose Gewölbe mit Heiligenbildern, rustikalem Wandverbau, Klinkerboden und einem dramatisch beleuchteten Bild mit brunftigen Hirschen wohl ebenso retro finden wie die Ausstaffierung der Servicemannschaft mit Lederhosen und Dirndl – den Gästen aber gefällt es: Das Lokal ist bis spät in den Sonntagnachmittag ebenso gesteckt voll wie der straßenseitige Gastgarten. Wer nicht reserviert hat, nimmt auch längere Wartezeiten an der Schank in Kauf. Okay, in der Gegend wird man eine andere Adresse mit annährend vergleichbarem Angebot vergeblich suchen.

Rollenspiele

Auch die Küche bleibt auf recht wohlige Art der Vergangenheit verbunden. Carpaccio vom Jungspießer zum Beispiel, da wird das zarte Fleisch des Rehbocks wie vor Jahrzehnten mit einer Kräuterfarce eingerollt und dann erst dünn aufgeschnitten – sieht dekorativ aus, puren Fleischgeschmack darf man sich halt nicht erwarten. Hausgebeizte Lachsforelle wird in dicken wächsern schmelzigen Tranchen aufgetragen, dazu gibt es gepoppten Buchweizen und eine sanft bittere Karfiolcreme, die sehr angenehm mit der Süße des rohen Fischs kontrastiert.

Noch besser: das auf der Haut knusprig gebratene Filet vom Wildsaibling aus der Fröschnitz, bei dem das saftige Fleisch lebendige, frische Spannung vermittelt. Dazu gibt es samtiges Brennnesselpüree mit ganz subtilem Aniston, sehr gut. Hirschrücken wird forsch englisch gebraten, wie es sich gehört – allein dass hier auf die immer weiter verbreitete Blödheit verzichtet wird, Edelteile im Vakuumgarer zu denaturieren, verdient Sympathiepunkte. Statt der angekündigten Maiwipferlsauce scheint sich aber eine Safrancreme auf den Teller geschlichen zu haben.

Die Desserts werden, für einen Ex-Döllerer-Patissier eher ungewöhnlich, reichlich überladen (und vorzugsweise in Marmeladegläsern) angerichtet – der Rahmpudding war dessen ungeachtet hervorragend, die dazu servierte Melone mit Vanille und Honig hingegen von alkoholischer Überreife. Was man sich aller Traditionsverbundenheit zum Trotz etwas zeitgemäßer wünschen würde: die antiquiert wirkende Weinkarte. (Severin Corti, RONDO, 5.8.2016)