
Die Zierliche Federnelke blüht von Mai bis Juli. Diese Unterart der Federnelke kommt nur im Gesäuse vor.
Ein süßer, frischer Duft liegt in der Luft. Für einige Nasen ist Vanille, für andere Honig dominanter. Die ausgefransten rosa Blüten der Zierlichen Federnelke überraschen mit ihrem betörenden Geruch. Die endemische Pflanzenart kann nur im Nationalpark Gesäuse in der Steiermark, dem drittgrößten Nationalpark Österreichs, entdeckt werden.
Der Ursprung für diese geografische Eingrenzung liegt rund 10.000 Jahre zurück: Die Ennstaler Alpen lagen am Ende der letzten Eiszeit im Alpenraum – der Würm-Kaltzeit – am Rand des Gletschers und boten Tieren und Pflanzen ein Refugium. Dadurch wurde das Gebiet des heutigen Nationalparks ein Hotspot für zahlreiche Endemiten, das sind Spezies, die nur in einer räumlich klar abgegrenzten Umgebung vorkommen. "Bei den Pflanzen sind es 24 Arten", sagt Daniel Kreiner, Leiter des Fachbereichs Naturschutz im Nationalpark Gesäuse.
Endemische Arten sind wegen ihres begrenzten Verbreitungsgrades teilweise sehr selten und brauchen daher besonderen Schutz. "Das Gesäuse ist seit den 1950er-Jahren als erstes Naturschutzgebiet des Landes und seit 2003 als einziger Nationalpark der Steiermark besonders geschützt", so Kreiner.
Die schroffe Landschaft ist reich an Fels und Schutt, die Schuttströme reichen oft bis ins Tal. Genau diese Voraussetzungen lassen die Federnelke gedeihen, die in den Rohschuttstandorten in der Bergwaldstufe ihre kleine ökologische Nische gefunden hat. Ihre schönsten Bestände, sagt Kreiner, hat sie auf den Dolomit-Schutthalden entwickelt, die sich nicht zu stark bewegen: "Bei zu viel Bewegung kann sie nicht wachsen, bei zu wenig wird sie langsam von anderen Arten verdrängt, zum Beispiel von Latschen." Ihre Verbreitung wurde im vergangenen Jahrhundert durch den Schuttabbau gefährdet, der jedoch mit der Gründung des Nationalparks eingestellt wurde.
Trend zum Höherwandern
Heute ist der Klimawandel eine Gefahr. Denn die meisten Endemiten kommen in den Nordostalpen in der subalpinen und alpinen Zone vor. "Laut einer Studie des Umweltbundesamtes wird dieser Lebensraum bis 2100 um fast 80 Prozent schrumpfen", so Kreiner. Die Auswirkungen auf Tiere und Pflanzen werden seit 2007 im Rahmen des Projekts Gloria (Global Observation Research Initiative in Alpine environments) auf Gipfeln im Gesäuse erforscht. Gloria wurde in den späten 1990ern an der Universität Wien ins Leben gerufen und umfasst heute mehr als 70 Gebiete. Ziel ist, zu dokumentieren, wie Klimaveränderungen die biologische Vielfalt und Vegetationsmuster im Hochgebirge beeinflussen.
Für umfangreiche Aussagen sei es zu früh, aber erste Beobachtungen gebe es bereits, sagt Kreiner: So wandern auf niedrigeren Gipfeln neue Arten ein, und der oberste waldfreie Bereich wird langsam von Gehölzarten erobert. Dieser "Trend zum Höherwandern" führt zu einer Veränderung der Pflanzengesellschaften. Hochgebirgsspezialisten sind gegenüber den hochwandernden Arten aus den tieferen Lagen wenig konkurrenzkräftig, was sie ebenfalls zum Weiterwandern zwingt. Dieser Wanderung sind natürliche Grenzen gesetzt, sagt Kreiner: "Je näher die untere Grenze einer Population am Gipfel liegt, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie bei einer Erwärmung ausstirbt." (Julia Schilly, 3.8.2016)