Gründerinnen Eva Krizsanits (links) und Larisa Stanescu im Austausch mit Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP): Wie wird das Bildungssystem fit für die digitale Zukunft?

Foto: Regine Hendrich

"Es fehlt an Rolemodels, vor allem an weiblichen", sagt Stanescu zum Mangel an IT-Fachleuten wie Programmierern. Mit Girls n' Code wollen Krizsanits und sie das ändern.

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Im Start-up-Paket der Regierung werden Programmierer in die Liste der Mangelberufe aufgenommen. Mahrer und Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) ist es ein Anliegen, die Bedingungen für Gründer in Österreich zu verbessern. Im Bild: Christian Kern beim Pioneers-Festival.

Foto: Pioneers

Die vielen Arbeitsplätze im Co-Working-Space Sektor 5 sind großteils noch unbesetzt, als Harald Mahrer eintrifft. Der Staatssekretär im Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft kennt die Räumlichkeiten, schüttelt Hände und wünscht einen guten Morgen. Manchmal schaue er beim monatlichen Stammtisch vorbei.

Larisa Stanescu und Eva Krizsanits haben hier ihren Arbeitsplatz. Beide kommen aus dem Marketingbereich und haben letztes Jahr die Initiative "Girls n' Code" gestartet, eine Plattform, die Frauen an das Thema Programmieren heranführen will. Das neueste Projekt heißt Smart Ninja – auch hier geht es um Programmierkurse, allerdings mit einer größeren Zielgruppe. Gegründet wurde Smart Ninja 2015 in Slowenien, Krizsanits und Stanescu sind in Österreich dafür verantwortlich.

STANDARD: Laut EU-Kommission fehlen in vier Jahren etwa eine Million Arbeitskräfte in der IT-Branche. Was ist zu tun?

Mahrer: Diese Schätzungen sind noch die konservativsten. Wenn wir hier um die Ecke gehen zum schwarzen Brett, dann wird man jede Menge offene Stellen im Programmierbereich finden. Das ist nicht nur in der Start-up-Szene so, sondern in großen Unternehmen und an Unis auch. Nicht nur in Österreich, sondern in ganz Europa: Egal, wo ich hingehe – ich finde keine Coder. Die Digitalisierung setzt jetzt in allen Arbeitsbereichen gleichzeitig ein. Natürlich hat da die Politik die Verantwortung, im Aus- und Weiterbildungsbereich aktiv zu werden. Sie wird es aber nicht allein können, sie kann nur Anreize setzen. Eigentlich muss das die Wirtschaft im großen Ausmaß selber machen. Gleichzeitig erleben wir auch die Digitalisierung von Bildung – Stichwort Edutech. Im Idealfall verbindet man die beiden Welten.

STANDARD: Wie kann das aussehen?

Mahrer: Man schaut, dass man ab dem Kindergarten die Kids in Richtung Medienkompetenz begeistert, mit Gamification-Ansätzen. Große Unternehmen wie Bertelsmann sind in diesem Bereich bereits voll drinnen. Das wird uns jetzt aber nicht helfen, denn diese Kinder bekommen erst in 15 Jahren einen Job. Die qualifizierten Mitarbeiter brauchen wir in drei bis fünf Jahren. Wir müssen also auf Angebote setzen, die diese Marktlücke füllen. Der Markt für digitale Aus- und Weiterbildung liegt laut mehreren Studien jetzt bei 100 Milliarden Euro und wird sich in den nächsten vier Jahren vervierfachen, da wird viel passieren.

STANDARD: Ihr setzt hier an und wollte mit Smart Ninja Menschen, auch völlige Anfänger, in Kursen die wichtigsten Skills beibringen.

Krizsanits: Genau. Starke Nachfrage kommt aus dem Marketing- und Medienbereich, aber auch von Menschen, die sich umorientieren wollen, weil sie keinen Job finden. Ohne HTML und CSS kommt man in vielen Berufen irgendwann nicht mehr weiter, das haben wir beide selbst erlebt.

Stanescu: Es gibt auch schon Anfragen von Unternehmen, die das gerne intern anbieten würden. Spannend wäre dann natürlich, wenn Leute aus verschiedensten Bereichen des Unternehmens kämen, nicht nur welche, die von Digitalisierung betroffen sind.

STANDARD: Wieso muss man nun eigentlich auf solche Initiativen hoffen? Es ist ja schon länger klar, dass es Menschen mit diesem Know-how brauchen wird.

Mahrer: Der Staat ist für eine Basisausbildung zuständig. In welche Richtung sich die Leute spezialisieren wollen, das ist eine freie Wahl. Was wir jetzt aber feststellen, ist, dass die Technologie alle Wirtschafts- und Lebensbereiche berührt, und da müssen wir im Bildungssystem was tun: Kindergarten, Volksschule und Pflichtschule. Aber auch Spezialisierungen im tertiären Bereich, damit meine ich Fachhochschulen. Die zusätzlichen Plätze brauchen wir in den Bereichen MINT (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik). In Österreich werden wir in vier Jahren jährlich 16.000 Leute für diesen Bereich benötigen. Aber natürlich braucht man jetzt das spezialisierte Know-how von vielen Kollegen am Markt, das von Bildungsanbietern dann in Programme gegossen wird.

STANDARD: In Großbritannien gibt es seit zwei Jahren ab der ersten Schulstufe verpflichtenden Informatik- und Programmierunterricht. Ist so etwas denkbar?

Mahrer: Ich glaube, die Frage ist, was die Grundmedienkompetenzen sind, die man haben muss. Ob jeder programmieren können muss? Das glaube ich nach wie vor nicht. Aber man muss die Logik verstehen, die dahinter liegt. Was gibt es für Software, wie gehe ich damit um? Was kann eine Maschine – und was nicht? Was soll sie auch nicht können? Es gibt die Idee einer "Austrian School of Coding" – ein virtuelles Netzwerk der besten Ausbildungsanbieter für Programmieren. Ich will kein Kindergartenkind dazu zwingen, aber die Möglichkeit schaffen, erste spielerische Experimente damit durchzuführen. Wir haben nun über die Bildungsinnovationsstiftung 50 Millionen Euro für zwei Jahre dotiert, genau für solche Initiativen. Es gibt ja schon einiges, aber wir erreichen nur einen kleinen Teil der Kinder. Da wollen wir schnell in die Breite. Es geht um die Jobs der Zukunft.

Krizsanits: Ich glaube, dass bestehende Angebote auch oft nicht angenommen werden, weil Eltern kein Verständnis haben.

Mahrer: Obwohl es ja um total sichere Zukunftsjobs geht. Ich hab mich auch nicht für Alte Geschichte inskribiert, obwohl es mich interessiert hätte. Da muss man ein großer Philanthrop an sich selbst sein, um zu sagen, man wählt bewusst eine tertiäre Ausbildung, die man ausschließlich aus humanistischem Interesse macht und mit der man danach keinen Job bekommt. Ich rate immer, in den Informations- und Kommunikationstechnologiebereich (IKT) zu gehen.

STANDARD: Warum entscheiden sich nur wenige für diesen Weg?

Stanescu: Viele denken, es sei langweilig und verstaubt. Es gibt die Vorstellung vom klassischen Programmierer in einem Hoodie, der nie Tageslicht sieht. Das stimmt überhaupt nicht. Man kann sehr kreativ sein. Derzeit fehlt es an Rolemodels, insbesondere unter Frauen, die das zeigen. Und gegen Angst vor dem Unbekannten hilft nur, es selbst zu lernen. Als der Buchdruck kam, dachten auch viele Menschen, das sei Teufelswerk. Deswegen denken wir auch, dass jeder programmieren lernen sollte – zumindest eine Basissprache. Es ist wie Lesen, Schreiben und Rechnen. Man muss kein Buchautor werden, aber wenn man lesen kann, kann man sich weiterbilden und ausdrücken.

Mahrer: Was schätzt Ihr: Wie lange braucht man, um einen Anfänger auf ein halbwegs vernünftiges Coder-Niveau zu bringen?

Krizsanits: Wenn man den dreimonatigen Webdevelopment-Basiskurs macht und nebenbei mitlernt, gibt es Unternehmen, die einem ein Praktikum in dem Bereich anbieten. Mit dem zweiten Kurs könnte man dann schon bereit als Junior Developer einsteigen.

STANDARD: Der Beruf Programmierer soll im Zuge des Start-up-Pakets der Regierung ja auch auf die Liste der Mangelberufe aufgenommen werden.

Mahrer: Genau. Da geht es darum, Menschen aus dem EU-Ausland leichter nach Österreich zu bringen. Denn: Es gibt EU-weit zu wenig gut ausgebildete Leute. Wir wollen Leute aus dem asiatischen Raum anziehen, um den kurzfristigen Mangel zu überbrücken. An langfristigen Lösungen wird parallel gearbeitet. (Lara Hagen, 8.8.2016)