Ein Reinraum in dem geforscht und entwickelt wird wie hier beim Chiphersteller Infineon, ist von Abwanderung weniger stark gefährdet als Fließbandarbeit.

Foto: Infineon / Henry Welisch

Wien – Der Anteil der Industrie an der Wirtschaftsleistung liegt in Österreich deutlich über dem EU-Schnitt. Während in den meisten westeuropäischen Ländern die Bedeutung des verarbeitenden Gewerbes in den vergangenen 20 Jahren zum Teil stark zurückgegangen ist, ist Österreich von diesem Strukturwandel bisher weitgehend verschont gewesen.

So lauten zwei der zentralen Ergebnisse eines neuen Forschungspapiers von zwei Ökonomen des Instituts für Höhere Studien (IHS). Die Wissenschafter Brigitte Ecker und Klaus Weyerstraß haben sich angesehen, wie sich Beschäftigung und der Industrieanteil zwischen 1995 und 2005 in diversen EU-Ländern entwickelt haben. Im Schnitt der 28 EU-Länder ist der Anteil des verarbeitenden Gewerbes an der Bruttowertschöpfung, also an der Summe aller produzierten Güter und Dienstleistungen, in der Zeit von 16,3 auf 15,7 Prozent gesunken.

Kritische Entwicklung in Krisenländern

Dabei gibt es Unterschiede: In Krisenländern wie Spanien und Griechenland hat die Deindustrialisierung über die vergangenen Jahrzehnte ebenso große Dimensionen angenommen wie in Großbritannien. Auch in Frankreich, Italien und Portugal ist der Industrieanteil stark zurückgegangen.

Die Entwicklung ist eine Folge der Verlagerung von Jobs und Ressourcen in den Dienstleistungssektor. In einigen Ländern wie Großbritannien war diese Strategie bewusst gewählt: So wurde London seit der Ära von Premierministerin Margaret Thatchers gefördert, während der Kohleindustrie Subventionen entzogen wurden. In anderen Staaten ist der Anteil des produzierenden Gewerbes als Folge des zunehmenden Wettbewerbs mit Ländern wie China zurückgegangen. Aus den Zahlen ist für mehrere große EU-Staaten ein Kahlschlag ablesbar. In Spanien liegt der Anteil der Industrie nur bei zwölf Prozent, in Frankreich sind es elf, in Großbritannien überhaupt nur 9,5 Prozent.

Gegen den Trend in Europa

Der Industrieanteil liegt dagegen sowohl in Deutschland als auch Österreich über 20 Prozent. Diese Länder stechen zudem hervor, weil hier die Bedeutung der Warenerzeugung "entgegen dem Trend gestiegen ist".

Noch stärker zugelegt hat der Industrieanteil in Osteuropa, in der Slowakei, Tschechien und in Ungarn. Das ist eine Folge der Ansiedelung neuer Betriebe, primär aus der Automobilbranche. Die Zahl der produzierten Autos pro Einwohner ist nirgends so hoch wie in der Slowakei. Peugeot Citroën, VW und Kia lassen hier Pkws zusammenbauen.

Überall ist die Zahl der Industriearbeiter zurückgegangen. In Österreich, Deutschland und der Slowakei ist das eine Folge der Technologisierung. Maschinen ersetzten Menschen. Der zunehmende Wettbewerb und der technologische Fortschritt sind für Ecker und Weyerstraß die größte Herausforderung für Betriebe.

Mehr Maschinen, mehr Export

Länder mit einem höheren Industrieanteil sind besser durch die Krise gekommen, heißt es im IHS-Papier, das aktuell in den Wirtschaftspolitischen Blättern, einer Publikationsreihe der Wirtschaftskammer, erschienen ist. "Das liegt daran, dass die Krise ihren Ursprung im Banken- und Bausektor hatte", sagt Ökonom Weyerstraß. Länder, die mehr Maschinen erzeugen, konnten nach einem anfänglichen Einbruch von einer Exporterholung profitieren.

Deshalb forciert die EU-Kommission eine Reindustrialisierung. Ihr Ziel den EU-Industrieanteil über 20 Prozent zu heben, ist laut IHS-Ökonomen schwer erreichbar. Das Wachstumspotenzial dürfte im Dienstleistungssektor (Pflege, Medizin) liegen. (András Szigetvari, 4.8.2016)