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Marinesoldaten der chinesischen Volksarmee patrouillieren auf einer der Spratly-Inseln, welche die Chinesen Nansha nennen. Auf dem Schild im Vordergrund steht: "Nansha ist das Land unserer Nation, heilig und unantastbar." Der Schiedsgerichtshof in Den Haag erteilte Chinas Gebietsansprüchen zuletzt eine Abfuhr.

Foto: Reuters / China Stringer Network

Militärisches Säbelrasseln und Kriegsrhetorik – kaum ein Tag vergeht, an dem der Konflikt um Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer in Asien ohne Schlagzeilen bleibt. Der Streit drohe zu einer "Wiege des Krieges" zu werden, warnte etwa der chinesische Vizeaußenminister Liu Zhenmin Mitte Juli.

Hintergrund der drastischen Worte war eine krachende Niederlage Chinas vor dem Ständigen Schiedsgericht in Den Haag. Dieses hat Chinas historisch abgeleiteten Gebietsansprüchen in den rund 3,5 Millionen Quadratkilometer großen Gewässern eine Absage erteilt und geurteilt, das Land verletze unter anderem Ansprüche der Philippinen.

Das politische Peking und die Staatspresse schäumten: Das Urteil sei "null und nichtig", das Verfahren eine "Farce", die Entscheidung sei "Altpapier", das weggeworfen gehöre, so die Regierung. China hatte bereits im Vorfeld mehrfach betont, dass es das Urteil nicht akzeptieren werde und das Verfahren boykottiert – obwohl die Klage auf Grundlage des Seerechtsübereinkommens der Uno verhandelt wurde, das bislang 165 Nationen ratifiziert haben, darunter auch China.

Verzwickte Lage

"Vor dem Hintergrund des internationalen Rechts ist das Vorgehen Chinas nicht gerechtfertigt", urteilt auch Felix Heiduk, Südostasien-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin. Dennoch bleibt er skeptisch. Zwar sei das Urteil für beide Seiten bindend, doch werde das Verdikt an der "verzwickten Lage" im Südchinesischen Meer nur "wenig ändern".

Die Philippinen hatten den Schiedsgerichtshof 2013 angerufen, um zu klären, ob es sich bei den strittigen Flecken im Südchinesischen Meer um Inseln oder nur um Felsen oder sonstige Erhebungen handelt. Das ist entscheidend, da Länder vor ihrer Küste 12 Seemeilen als eigenes Küstenmeer reklamieren und 200 Seemeilen als ausschließliche Wirtschaftszone nutzen dürfen – für bloße Felsen gilt dies nicht.

China beansprucht etwa 85 Prozent des gesamten Meeres und beruft sich auf die so genannte Neun-Striche-Linie, die das Gebiet umfasst und aus historischen Ansprüchen abgeleitet wird. Das Reich der Mitte habe das Gebiet als erste Nation entdeckt, erschlossen und seine Ansprüche geltend gemacht.

Neben dem philippinisch-chinesischen Konflikt im Nordosten geht es vor allem um die weiter südlich gelegenen Paracel- und Spratly-Inseln, auf die neben China und den Philippinen auch Vietnam, Malaysia, Brunei und Taiwan Ansprüche erheben.

Geostrategische Bedeutung

Die Bedeutung der Gewässer ist enorm: Durch die Wasserstraße im Südchinesischen Meer werden jedes Jahr Güter im Wert von mehr als fünf Billionen US-Dollar verschifft – gut ein Viertel des weltweiten Handels. Attraktiv ist das Südchinesische Meer auch deshalb, weil es stellenweise außerordentlich fischreich ist und dort umfangreiche Öl- und Gasvorkommen vermutet werden.

Diese geostrategische Bedeutung hat dazu geführt, dass die Spannungen in dem Seegebiet in den vergangenen zwei Jahren deutlich zugenommen haben. China hat mehrere Riffe zu kleinen Inseln aufgeschüttet, um dort militärische Anlagen und Flugplätze sowie weitere Einrichtungen zu installieren.

Auch ein Luftabwehrsystem soll China bereits aufgebaut haben. Daneben sind die Gewässer Schauplatz zahlreicher Militärmanöver. "Die chinesische Gangart hat sich dezidiert verschärft, seit die Philippinen das Verfahren vor dem Ständigen Schiedsgerichtshof in Den Haag lanciert haben", urteilt SWP-Experte Heiduk.

Die herausragende Bedeutung des Meeres erklärt auch die Vehemenz, mit der von allen Seiten gestritten wird, und veranschaulicht die Gefahr, die von diesem Konfliktherd ausgeht. "Die Risiken steigen, da China das Gebiet weiter entwickeln und militarisieren wird, um Zugang und Kontrolle abzusichern", sagt Dane Chamorro, Leiter Gefahrenanalyse Südostasien bei der Unternehmensberatung Control Risks in Singapur. "China schafft Realitäten, wo vorher keine waren, strategisch ist das sehr clever."

Anderer Blick, andere Stärke

Die Ära Deng Xiaopings, in der China außenpolitisch nach dem Motto handelte, seine Stärke nicht zu zeigen und abzuwarten, darf als abgeschlossen betrachtet werden. Nun ist der Blick ein anderer. Und auch die Stärke ist da, China ist, nach den USA, einer der wichtigsten politischen Player auf der Welt.

Dass Peking so empfindlich auf Gegenwind für sein Expansionsstreben reagiert, liegt auch an einem historischen Trauma. Die im 19. Jahrhundert mit den Kolonialmächten signierten Abkommen werden nicht ohne Grund als "ungleiche Verträge" bezeichnet. Im kollektiven Empfinden der Nation ist die Epoche als "Jahrhundert der Schande" verankert. Zudem war China in den 1970er- und 1980er-Jahren kaum fähig, auf geopolitische Entwicklungen zu reagieren.

Aus chinesischer Sicht betrachtet man das Vorgehen im Südchinesischen Meer daher als aufholendes Moment. "Selbst die kleineren Staaten haben angefangen, Inseln auszubauen und zu militarisieren, und China war so schwach, dass es gezwungen war, das hinzunehmen. Jetzt hat man von chinesischer Seite nachgezogen", sagt Heiduk.

Zusätzlich kompliziert wird die Lage auch dadurch, dass die USA zunehmend als Konfliktpartei auftreten. Einerseits wegen des Militärbündnisses mit den Philippinen, andererseits, weil Staaten wie Vietnam aus Furcht vor chinesischer Dominanz enger an die USA heranrücken. Letztere sehen zudem ihre strategischen Interessen im Pazifik durch das wachsende Selbstbewusstsein Chinas bedroht, das die Gewässer als seinen Hinterhof betrachtet.

Zweischneidig für die Länder

In der Folge könnte Südostasien die Arena werden, in der ein möglicher Konflikt zwischen den USA und China ausgetragen wird. "Die Wahrscheinlichkeit einer militärischen Konfrontation ist begrenzt, aber nicht unerheblich", sagt etwa Alicia Garcia-Herrero, Chefvolkswirtin Asien/Pazifik der französischen Großbank Natixis in Hongkong. "Es könnte durchaus sein, dass wir einen Stellvertreterkrieg ohne eine direkte Verwicklung der USA sehen."

Die Aufmerksamkeit der Amerikaner für Südostasien und insbesondere ihr erhöhtes Interesse für den Konflikt im Südchinesischen Meer sei zugleich "zweischneidig" für die Länder der Region, urteilt Alice Ba, Professorin für Politische Wissenschaften und Internationale Beziehungen an der Universität Delaware.

Auf der einen Seite unterstützte das US-Engagement Südostasien in seinem Widerstand gegen die ausgreifenden Gebietsansprüche Chinas. Auf der anderen Seite gerate die "sehr empfindliche Dynamik der US-chinesischen Beziehungen" in das Beziehungsgeflecht zwischen Südostasien und China. "Das kann die Suche nach einem Modus Vivendi verkomplizieren", sagt Ba.

Wie das Gros der Beobachter glaubt auch Risikoanalyst Chamorro, dass die Gefahr eines absichtlich herbeigeführten Konfliktes eher gering ist. Zwar übertreffe China hinsichtlich seiner militärischen Stärke alle anderen Anrainerstaaten, doch werde es sich hüten, die USA direkt herauszufordern. "Aber sie werden die Situation weiterhin testen, in dem Sinne 'Wie weit können wir gehen?'. Das ist der Punkt, an dem das Risiko von Fehleinschätzungen eintritt."

Wirtschaft dämpft Risiko

Immerhin dürfte die rasant wachsende wirtschaftliche Verflechtung zwischen China und dem südostasiatischen Staatenbund Asean, in dem unter anderen Vietnam, die Philippinen, Malaysia und Brunei organisiert sind, die Risiken einer Konfrontation eindämmen, glaubt Garcia-Herrero. Die Gefahr wirtschaftlicher Gegenreaktionen auf zunehmende Spannungen erzeuge ein Dilemma für die Konfliktbeteiligten, wenn sie einerseits ihre Souveränitätsansprüche im Südchinesischen Meer behaupten, andererseits aber auch Investoren anlocken und den Handel vertiefen wollen.

Allerdings wird der Konflikt nicht mehr nur durch das Handeln der beteiligten Regierungen bestimmt, die den Konflikt in der Vergangenheit gerne benutzt haben, um nationalistische Strömungen anzuheizen und daraus innenpolitisch Nutzen zu ziehen. "Mit diesem Feuer haben schon alle gespielt", sagt Heiduk. Inzwischen brauchen die Nationalismen kaum mehr angeheizt zu werden, die Reaktionen der Bevölkerung auf Spannungen in der Region sind vor allem in China und Vietnam auch so schon überaus emotional. Eines scheint daher sicher: Der Druck im Kessel steigt. (Christian Vits, 7.8.2016)