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Jill Stein (Mi.) will all jene an Bord holen, die bisher für Bernie Sanders marschiert sind. Doch viele Anhänger des Senators aus Vermont befürchten damit eine indirekte Hilfe für Donald Trump.
"Jill not Hill" lautet die Parole, mit der die treuesten, zornigsten Anhänger von Bernie Sanders ihrem Ärger Luft machen: Jill Stein wählen, nicht Hillary Clinton. Rebellion, nicht Status quo. Wie viele Sanders-Fans das beherzigen werden und sich im November für die Präsidentschaftskandidatin der Grünen entscheiden, gehört zu den großen Unbekannten dieses Wahlkampfs. Meinungsforscher orakeln, dass ungefähr ein Zehntel derer, die mit dem Senator aus Vermont marschierten, zu Stein überlaufen könnten.
Ob sich die Prognose bewahrheitet oder nicht, davon hängt ab, ob die USA erneut erleben, was man den "Ralph-Nader-Effekt" nennt. Damals holte Nader, ein Verbraucherschutzanwalt, 2,7 Prozent der Stimmen. Es war ein Rekordergebnis für die Green Party, bedeutete aber auch, dass dem Demokraten Al Gore das letzte Quäntchen fehlte, um den Republikaner George W. Bush zu besiegen.
Die Erinnerung an das Jahr 2000, glaubt David Weigel von der Washington Post, werde viele aus der Jill-not-Hill-Fraktion am Ende doch davon abhalten, Stein den Zuschlag zu geben. Das Trauma sitze einfach zu tief.
Jill Stein sieht das natürlich anders. Ihre Bestandsaufnahme bündelt sie in dem Satz: Die Leute hätten es satt, das kleinere Übel zu wählen; in diesem Fall Clinton, um Trump zu verhindern.
Unpopuläre Kandidaten
Die Wähler seien in Aufruhr, sagt Stein, so viele wie nie zuvor zeigten den beiden großen Parteien die kalte Schulter. Mit Clinton und Trump habe man es mit den unpopulärsten Präsidentschaftsbewerbern der US-Geschichte zu tun, spitzte sie das Motiv am vergangenen Wochenende auf dem Parteitag der Grünen in Houston zu. "Die Menschen sehnen sich nach einer Alternative, und diese Alternative sind wir!"
Es gibt Experten, die sehen in der 66 Jahre alten Kinderärztin nichts anderes eine Fortsetzung von Bernie Sanders mit anderen Parteifarben. Die Plattform der Grünen geht allerdings noch hinaus über das, was Sanders verlangt. Unter anderem fordert sie einen Erlass der Schulden, die Studenten infolge exorbitanter Studiengebühren angehäuft haben, sowie die Reduzierung des Militärbudgets um mindestens 50 Prozent.
Elijah Manley, einem 17-jährigen Afroamerikaner aus Florida, der Stein die Kandidatur streitig zu machen versuchte, geht auch das noch nicht weit genug: Nach seinen Vorstellungen soll das Wahlalter auf 16 Jahre herabgesetzt, die amerikanische Notenbank aufgelöst und Edward Snowden ohne weiteren Aufschub begnadigt werden. Außerdem, sagt Manley, müsse die Green Party die real existierenden Vereinigten Staaten abbilden und aufhören, eine Partei privilegierter Weißer zu sein. Eine Partei, wie Jill Stein sie symbolisiert: Ivy-League-Abschluss, Birkenstocksandalen, gutbürgerliches Milieu.
Es liegt an ihren Erfahrungen in der medizinischen Praxis, dass die aus Chicago stammende Frau in der Politik aktiv wurde. Nach dem Studium in Harvard mit magna cum laude begann sie als Kinderärztin, konfrontiert mit den Folgen einer Fastfood-Kultur, die Fettleibigkeit zu einer Epidemie werden ließ. "Es gefiel mir nicht, wie wir unsere Kids mit Pil- len vollstopften, statt zu den Wurzeln des Problems vorzudringen. Und irgendwann verlor ich die Geduld."
Engagement für die Umwelt
Später engagierte sie sich bei einer Bürgerinitiative, um in ihrer Wahlheimat Massachusetts auf die Modernisierung der fünf größten Dreckschleudern unter den Kohlekraftwerken zu drängen. In Gutachten wies sie obendrein nach, welcher Schaden durch Müllverbrennung nach veralteten Standards entsteht: eine bedenklich hohe Belastung durch Dioxine und Quecksilber.
Nebenbei sang sie in einer Folk-Rock-Band namens Somebody's Sister. Sie sang vom gebrochenen Versprechen des amerikanischen Traums, des Traums von den gleichen Chancen für alle: "Die Zeiten ändern sich. Es ist kein Spaß. Hey Revolution!" Vor vier Jahren, als sie sich zum ersten Mal ums Oval Office bewarb, kam sie auf 0,36 der Wählerstimmen. (Frank Herrmann aus Washington, 9.8.2016)