Die 34-jährige Modedesignerin Johanna Senyk gehört zu den "cool kids" von Paris.

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Designerin Johanna Senyk experimentiert für ihr Label Wanda Nylon mit Materialien wie Plastik. Jamie Borchert modelte für ihre Kooperation mit dem französischen Versandhaus La Redoute.

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Wer seinem Label den etwas bizarren Namen Wanda Nylon gibt, muss schon ein bisschen anders ticken. Das wird in Johanna Senyks Studio im zehnten Arrondissement von Paris schnell klar. Die 34-jährige Pariserin mit polnischen Wurzeln sprudelt nur so vor Energie, redet genauso schnell wie ununterbrochen und trägt das Herz auf der Zunge. Dass sie einen Hang zum Fetisch hat, daraus macht sie keinen Hehl – und sieht dabei so normal aus, wie es nur eben geht, in Vintage-Jeans und weißem T-Shirt.

Senyk gehört zur Riege der "cool kids" aus Paris, zusammen mit Vetements, Koché oder Jacquemus. Allesamt junge Designer, die der Stadt gerade einen Hauch von Berlin verpassen. Dass Senyk mit Wanda Nylon vor ein paar Wochen den renommierten Andam Fashion Award gewonnen hat und damit in die Fußstapfen von Martin Margiela, Viktor & Rolf oder Anthony Vaccarello tritt, ist allerdings bemerkenswert.

Immerhin war Wanda Nylon bis letztes Jahr noch ein reines Nischenprodukt. Als Senyk ihr Label 2012 auf den Markt brachte, gab es bei ihr nichts als Regenbekleidung: Trenchcoats aus Vinyl, durchsichtige Kapuzenjacken aus PVC, Hüte aus Polyurethan – so ausgefallen, dass ihr die extravaganten Sachen von Stars wie Rihanna oder Rita Ora förmlich aus der Hand gerissen wurden. Seit zwei Saisonen bietet Senyk nun vollständige Ready-to-wear-Kollektionen an. Ihre Liebe für Plastik und experimentelle Materialien aber hat sie sich bewahrt. Das verleiht ihrem Label eine unverwechselbare Identität.

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Foto: ©ShojiFujii

STANDARD: Frau Senyk, freut es Sie eigentlich, wenn es regnet?

Johanna Senyk: Am Anfang war das wirklich so, aber heute ist das vorbei. Regenmäntel machen ja nur noch einen geringen Prozentsatz meiner Einnahmen aus.

STANDARD: Stimmt es, dass Sie für Ihre erste Kollektion Duschvorhänge benutzt haben?

Senyk: Den Stoff habe ich als Glücksbringer immer noch im Studio liegen. Aber ich habe damit nur die Schnittmuster hergestellt. Ich hatte am Anfang keine Vorstellung, wie sich so ein Stoff am Körper verhält. Also bin ich in den Baumarkt gegangen und habe mir ein paar Plastikvorhänge besorgt.

STANDARD: Ist es schwierig, mit Vinyl oder PVC zu arbeiten?

Senyk: Das Schwierigste war für mich am Anfang nicht das Material, sondern die Reaktion der Leute. Es gab einige, die sagten: "Das klebt" oder "Man schwitzt drin". Ich habe zuerst gar nicht verstanden, dass das negativ gemeint war, denn ich persönlich stehe ja auf Fetisch. Man schwitzt drin – genial! Manche meinten auch, der Stoff mache Lärm oder rieche zu stark nach Plastik. Ich dachte mir nur: Verdammt, das finde ich ja gerade gut daran.

STANDARD: Haben Sie sich trotzdem angepasst?

Senyk: In gewisser Weise schon. Im Sommer biete ich keine dicken Mäntel aus Vinyl an, sondern mache leichtere Sachen, lasse die Ärmel weg und biete viele Teile aus Baumwolle an.

STANDARD: Trotzdem bleibt Vinyl bei Ihnen ein zentrales Thema. Was finden Sie an diesem Material so faszinierend?

Senyk: Einen Mantel aus Vinyl zu tragen hat für mich den gleichen Effekt, wie wenn man den ganzen Tag flache Schuhe trägt und abends plötzlich High Heels anzieht. Man bewegt sich einfach anders. Vielleicht weil der Stoff glänzt, genau kann ich das nicht erklären.

STANDARD: Kleidung aus Plastik hat bei vielen Leuten aber nicht unbedingt ein gutes Image ...

Senyk: Vielleicht weil sie denken, die Stoffe seien billig. Dabei gibt es riesige Qualitätsunterschiede. Mitunter kosten sie dreimal so viel wie echtes Leder. Das eigentliche Problem ist aber die Symbolik. Wenn eine Frau Plastik trägt, hat das immer ein bisschen was von Pigalle (ehemaliges Rotlichtviertel von Paris, Anm. d. Red.). Das sieht man auch in französischen Filmen. Wenn Frauen darin Vinyl tragen, spielen sie meistens Prostituierte. So wie Catherine Deneuve in "Belle de Jour" oder Romy Schneider in "Das Mädchen und der Kommissar".

STANDARD: Ist eine solche Konnotation nicht schwierig für die Identität einer Marke?

Senyk: Klar, aber sonst wäre es ja langweilig. Meine Aufgabe ist es, das Gleichgewicht zu halten, damit es nicht vulgär wirkt. Ich bedecke lieber mehr vom Körper, als ich zeige. Aber einen Mantel aus Vinyl zu tragen, muss man sich natürlich trotzdem trauen. Für meine Mutter ist das nichts. Sie trägt dafür andere Teile von Wanda Nylon.

STANDARD: Gibt es Materialien, die für Sie nicht infrage kommen?

Senyk: Ich schließe nichts grundsätzlich aus, aber bisher sehe ich keine Notwendigkeit für echtes Leder. Ich habe tolle Imitate gefunden, die ich viel intelligenter finde: Sie kosten weniger, verschmutzen die Umwelt nicht, töten keine Tiere und sind auch noch praktischer, weil waschbar. Ich wäre dumm, wenn ich die nicht benutzen würde!

... aus der aktuellen Herbst-/Winterkollektion.
Foto: ©ShojiFujii

STANDARD: Warum haben Sie sich am Anfang für ein Nischenprodukt wie Regenmäntel entschieden?

Senyk: Strategisch war das ein riesiger Vorteil. Einkäufer und Presse wissen genau, in welche Schublade sie dich stecken müssen. Außerdem hatte ich keine Lust, dass es zu sehr um mich geht: meine Vision der Frau, mein Geschmack, mein Leben. Das finde ich total altmodisch. Deswegen trägt die Marke auch nicht meinen Namen.

STANDARD: Und wieso Wanda Nylon?

Senyk: Ich wollte einen Namen, der polnisch klingt, meine Liebe für technische Materialien miteinbezieht, aber auch ein bisschen an Fetisch erinnert. Für mich klingt Wanda Nylon wie ein Name einer Tänzerin aus dem Crazy Horse oder ein Pseudonym aus irgendwelchen Fetischforen – genau, was ich mag.

STANDARD: Sie werden zu einer neuen Generation junger Designer aus Paris gezählt. Was machen Sie anders?

Senyk: Wir haben einfach weniger Kohle. Wenn du kein Geld hast, bist du nun mal gezwungen, kreativ zu werden. Unser Bezug zu den Käufern ist außerdem viel direkter, wir kennen unsere Kunden, wissen genau, wer sie sind. Das macht unsere Mode greifbarer, weniger prätentiös.

STANDARD: Woher kommt Ihre Faszination für Kleidung?

Senyk: Ich bin einfach "bonne vivante", ein bisschen wie Gérard Depardieu. Ich liebe Musik, Kunst, Leute, Feiern, Tanzen, Essen, Trinken. Manchmal denke ich, ich hätte genauso gut Köchin werden können, da werden auch alle Sinne angesprochen. Mode ist für mich nicht anders: das Gefühl der Kleidung auf der Haut, der Geruch der Materialien. Manchmal schnuppere ich daran wie an einem guten Essen. (Estelle Marandon, RONDO, 15.8.2016)